Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
einem Scherz vertreiben wollte. »Du weißt, dass ich hervorragend bin.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte sein Freund, der in der Ferne des Zimmers nichts war als ein marcförmiger Schatten, der auf einem sesselförmigen Schatten kauerte. Im Innern des Sesselchens aber quietschten die Federn, da Marc seinen Rücken tief in die Lehne presste, als er sagte, dass er nicht wisse und es doch wisse, was los sei, nämlich das Übliche.
»Was?«, fragte Tom.
»Dass ich es zum Kotzen finde. Sobald ich was fertiggemacht habe, finde ich es zum Kotzen. Belanglos, austauschbar.«
Er wisse, dass es das nicht sei, warf Tom ein, wurde aber überhört.
»Alles ist immer nur eine Möglichkeit«, sagte Marc, »eine von Tausenden. Wir können immer genauso gut was ganz anderes machen, Zwölftonmusik oder Schlager oder Schränke oder auch gar nichts, und die Welt würde sich nicht ändern, sondern ganz genau so weitergehen.«
Tom schwieg, lauschte auf das Puckern eines Autos auf dem Kopfsteinpflaster, das unter ihrem Fenster anschwoll und dann verklang.
»Stimmt«, sagte er. »Aber sie wird auch nicht untergehen, egal, was wir anstellen, die Welt wird sich nicht ändern, aber auch nicht untergehen durch uns.«
»Du hast recht«, sagte Marc leise. Das Knarren der Federn im Sessel sprang in die Stille, als er aufstand, um anscheinend ziellos in die Mitte des Zimmers hineinzulaufen, wo er stehenblieb, Hände in den Taschen, so lange, bis sein Freund aus der Küche zwei Bier und Zigaretten geholt und mit Hilfe des Lichtschalters die Dunkelheit vertrieben hatte.
Wie besessen hämmerten sie auf das Klavier ein an diesem Abend, bis tief in die Nacht vierhändig Schlager ihrer Provinzkindheit, die bruchstückhaft, aber immer zahlreicher aus weiter Jugendferne zugiger Pausenhöfe, Plattenpartys, kühler Lagerfeuernächte im Arm weißhäutiger Mädchen herüberzuwehen schienen in die Gegenwart. Auch sangen sie, »du, entschuldige, i kenn di, bist du ned die Kloane«, und »deine blauen Augen, so blaue Augen«, und »manchmal möchte ich schon mit Dir« und »irgendwann bleib i dann dort«, und immer lauter sangen sie und wunderten sich über das eigene Gedächtnis, das weit und wahllos ist wie das Meer und alles Erdenkliche je nach Windrichtung und Wetterlage an den Strand des Bewusstseins spült.
DER HUNDEZETTEL
Erst einige Wochen nach seiner Genesung war Tom dazu gekommen, mit Frau Hermanns die Hintergründe des Hundezettels zu besprechen. Einige Male hatte ihn seine Schülerin bereits an der Haustür mit Küssen und einer erotischen Direktheit überrascht, die nicht im Entferntesten an Klavierunterricht denken und aufgrund des gewohnt raschen Rückzugs von Frau Hermanns hinterher keinerlei Gelegenheit für Unterredungen ließ. Dann war sie im hellen, hohen Licht des Engadin verschwunden, und erst an einem Aprilnachmittag nach Ostern, an dem es leider nicht zum Sex, dafür aber zu einem kleinen Dialog kam, erfuhr er die Wahrheit über den Hundezettel. FrauHermanns sah erstaunt und etwas besorgt aus ihren Glasmurmelaugen, als er sie dazu befragte, dann aber erinnerte sie sich. »Ach ja, richtig«, sagte sie. »Ihnen ging es nicht gut an dem Abend, Sie hatten Fieber. Da haben Sie das wohl vergessen. Ich denke, mein Mann«, sagte sie, und es war nicht auszumachen, ob da etwas wie Überraschung mit der Tonfarbe der Gleichgültigkeit überdeckt wurde, »mein Mann hat Sie sicherlich gebeten, den Zettel an Ihrer Hochschule aufzuhängen. Sie haben dort doch sicherlich ein Schwarzes Brett oder Ähnliches, nicht?«
Tom nickte zögernd, denn ein Schwarzes Brett hatten sie. »Ich könnte die Hunde doch ausführen«, murmelte er, bereits an der Haustür. Ich könnte gleich damit anfangen, schnell einmal ums Karree, dachte er, und bis ich zurückkäme wärst du eventuell wie ausgewechselt. Küsse im Flur und so fort. Aber sie schüttelte den Kopf, wodurch sie tatsächlich aussah in diesem Moment wie eine Lehrerin. »Das geht auf gar keinen Fall, Herr Holler«, sagte sie. Und sie wolle das nicht vermischen, und Tom fragte sich, was genau sie mit vermischen meinte, aber sie könne ihm, sagte sie, auf gar keinen Fall zumuten, dreimal wöchentlich vom Prenzlauer Berg hierherzufahren, neinneinneinnein. Damit war das Thema erledigt und er draußen. Immerhin meinte er, an jenem Tag verstanden zu haben, was Herr Dr. Hermanns und die Physiker im Allgemeinen mit Überlagerungszuständen meinten: Dass man eine Geliebte hat und gleichzeitig auch wieder
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