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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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Schultern. Seine Stimme aber klang um eine Nuance zu fröhlich, um echt zu sein. Toms kalte Finger wurden plötzlich feucht. An der schwarzen, schicken, bei H&M gekauften Auftrittshose, die angeblich, so Marc, schlank machte, wischte er sie ab, bevor er sagte, dass er übrigens auf der Stelle nach Hause gehe. Marc lächelte nur.
    Inzwischen war das novus ensemble in größerer Bewegung. Es hatte zum zweiten Mal geläutet, und man lief durcheinander, um Baumwolltücher für die Geigen oder Dämpfer für die Blechblasinstrumente zu suchen, blätterte in Noten, drängte sich vor Spiegeln, um Frisuren und Hemdkragen zu überprüfen. Zuerst hatte das ensemble die Komposition eines jungen Finnen aus Helsinki zu spielen, die »Troll« hieß und sich mit nordischen, in Seen hausenden Fabelwesen beschäftigte; außerdem das Stück eines Schwäbisch sprechenden Stuttgarters, »Hitting the wall«, worin es darum ging, die Gesetzmäßigkeiten der Bewegung und des Aufeinanderprallens zu verdeutlichen, soweit Tom es verstanden hatte.
    Die Stille war groß, die das ensemble hinterließ, als es aufWeisung des Inspizienten hinaus- und zur Bühne gegangen war. Die Stille summte im Raum und drang in die Ohren. Es war, als stünden noch die Silhouetten der Tongirlanden in der Luft, Negativabdrücke verhallter Töne, die sich nun mit Stille vollsaugten.
    Als Tom eine kurzlange Zeitspanne später hinter Ulli, aber mutterseelenallein den einsamsten Weg der Welt, den Bühnengang zur Bühne entlangging, fühlte sich sein Kopf taub und dumpf an, aber er pulsierte in einem eigenartigen, vorwärtsgewandten Rhythmus. Seine Beine liefen unkoordiniert, zu schnell, und er begriff es plötzlich als größte Herausforderung des Abends, den Weg bis zum Flügel zu meistern, ohne dem Publikum das lustige Schauspiel seines Hinfallens zu liefern.
    Zwischen Applausresten kam ihm am Seiteneingang der taumelnde Finne entgegen, der in sein Ohr mehrere Male »good luck« schrie und auf seine Schulter schlug, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen. Und aus dem Nichts heraus war Marc da vor seinen Augen, mit großem weißem Gesicht, umarmte ihn und sagte etwas, das Tom nicht verstehen konnte, das sich anhörte wie gleich ist es vorbei oder es ist einerlei oder auch lass dir Zeit , oder Ähnliches.
    Der Saal bewegte sich, während Tom stehen blieb. »Was hat Marc gesagt?«, dachte er, während die Bühne sich näherte, die Ensemblemitglieder mit ihren Instrumenten im Halbrund, der glänzende Schwung des Flügels. Er hatte es sehr dunkel und klein in Erinnerung, dass er an diesem Flügel sitzen sollte. Im Wattebausch seines Gedächtnisses war nichts enthalten außer der Information, dass er der Klavierspieler sei und dass Klavierspieler sich bevorzugt an Klavieren aufhalten. Also setzte er sich. Sein Zeigefinger schlug das eingestrichene a an, ohne dass er denAuftrag dazu erteilt hätte. Marietta erhob sich, schwang die Geige ans Kinn und präsentierte ihren Ton und die langen Arme, die ein schwarzenges Kleid frei ließ. Das Ensemble blies und geigte um sie herum und drehte an den Instrumenten, bis das dissonante Summen der Geigen, Donnern der Bässe und die Sturmböen der Holz- und der Blechbläser endlich verwehten und die Windstille der Stille zurückließen, in der nur eine hüstelnde Heiserkeit von Seiten des Publikums von da und dort herüberstrich. Alles saß und wartete. Tom wusste aber keine einzige Note. Die Zeit zog sich zusammen wie ein Muskel und streckte sich und pulsierte, und schon waren mehrere Jahre vergangen. Oder eine Sekunde. Er stand auf und ging um den Flügel herum, seine Beine waren es, die aufstanden und ihn um den Flügel herumtrugen, dann seitlich anhielten, so dass er von oben ins geöffnete Instrument hineingreifen konnte. Sein Unterarm presste sich auf die Saiten, die Finger der linken Hand aber lagen auf den Tasten, aus denen das Eingangsthema des ersten Satzes langsam hervorging. Sein Kopf war leer und doch ausgefüllt mit einer leeren, nebligen Weite und hatte keine Ahnung davon, was die Finger unternahmen, die wie von selbst, mechanisch, eine dunkle Tonfolge entstehen ließen, im Bass voranschreitend, in einer gleichmäßigen Achtelbewegung gleichsam in das Stück hineingehend, wo sie von den Figuren der übrigen Instrumentengruppen in Empfang genommen wird.
    Durch die Dämpfung aber fehlt den Tönen der Klang. Es fehlt ihnen das, was das Essentielle der Musik ist, der schwingende, fliegende, sich vom Material befreiende

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