Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
Vom Netzwerk:
Dreieck«, »der Kreis« hießen. Trotzdem wurde Marc im Herbst ein einjähriges Komponistenstipendium vom Berliner Senat zugesprochen. »Einmal in der Fördermühle, immer in der Fördermühle«, sagte Marc, »da schafft man es nicht mehr raus.« Und es sei ja leider so, fuhr er fort, dass, wenn man einmal irgendwo drinnen, zugehörig sei, man nur noch von dort wieder hinaus möchte. Das, was er niemals gewollt habe, was er geglaubt habe, mit der Musik umgehen zu können, nämlich den Zustand, irgendwo drinnen zu sein, das trete nun doch ein. Ob man nämlich, sagte er, jeden Morgen in einen Schreinerbetrieb hineingehen müsse oder in den sogenannten Musikbetrieb , das sei ja letztlich gleich und gleich furchtbar.
    In der Stipendienzeit aber war der Kühlschrank immer voll. Statt Spaghetti mit Tomatensoße gab es Spaghetti mit Krabben oder Fleisch, statt des Viala tranken sie dunkelroten Chianti, sie mieteten den Probenraum in der Schönhauser für einen weiteren Tag in der Woche, und Marcs finanzschwache Schüler im Wedding zahlten fast nichts mehr für ihren Klavierunterricht.
    Marietta kam seltener, rief aber umso öfter an. Als er sie eines Sommermorgens in der noch dämmrigen Küche antraf, bemerkte Tom, dass sie hübsch war. Man musste nur sehr genau hinsehen, um es zu erkennen, was daran liegen mochte, dass alles an ihr etwas kleiner war. Sie saß alleine am Küchentisch,hatte die Ellbogen aufgestützt, und ihr Kinn ruhte in beiden Händen. Die Lider gesenkt wie im Schlaf. Als sie ihn kommen hörte, hob sie den Kopf und verschränkte schnell die Arme vor der Brust, als wäre sie bei etwas Verbotenem erwischt worden. Sie lächelte ein wackliges Lächeln, dann blinzelte sie, räusperte sich und wandte den Kopf ruckartig zum Fenster, worin das graue Viereck des Hinterhofs stand und darüber ein ebenso grauer Streifen des Himmels.
    »Du solltest Schluss machen«, sagte Tom zu Marc, als sie gegangen war.
    »Vielleicht«, sagte Marc.
    »Sie liebt dich.« Soweit Tom sich erinnerte, hatte er so etwas noch nie gesagt. Sie liebt dich . Er klang wie Melanie, die herzensgute Frau von Ashley Wilkes, auf dem Sterbebett. Seine Mutter hatte diesen Film weinend jedes Jahr zu Weihnachten gesehen – als Kind hatte Tom lang geglaubt, Weihnachten käme von »weinen« – und er erinnerte sich jetzt an jene Szene, da das blonde Persönchen nur noch Augen war und sonst nichts, da sich ihr weißer, anämischer, todgeweihter Körper schon aufgelöst zu haben schien: »Sei gut zu Captain Butler. Er liebt dich so sehr.«
    Marc strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah durchs Fenster in den Hof hinaus, auf die dunklen Mauern der Häuser.
    »Wenn Städte eine Farbe haben, dann hat Berlin diese hier«, sagte er und deutete mit dem Kinn in Richtung Fenster.
    »Was ist das, Graubraun?«
    »Berlingrau«, sagte Marc. Mit dem durchgedrückten Zeigefinger fuhr er eine Kerbe auf dem Tisch nach. »Vielleicht liebe ich sie ja auch«, sagte er und hob die Schultern.
    »Dann mach nicht Schluss«, sagte Tom.
    »Dann mach nicht Schluss«, wiederholte Marc langsam, als handelte es sich um ein Kochrezept, das er sich einprägen müsste.
    Es wurde Herbst, und Vogelscharen zogen in dunklen V-Formationen über den Himmel, Bäume lagen schräg im Wind. Marc komponierte tagsüber viel, Tom spielte Klavier, nachts machten sie im Probenraum Musik und vergaßen die Zeit, mittwochs pilgerten sie nach wie vor zu Breitenbach, der inzwischen abstritt, jemals über die Liebe gesprochen zu haben. Eigentlich sei es nicht, nie , um die Liebe gegangen, behauptete er. Die Liebe sei höchstens eine Chiffre, eine Metapher für das Streben alles Seienden. Alles nämlich sei getrieben vom Streben, der Stein, die Pflanze, das Tier und auch der Mensch. Thomas von Aquin nannte dies Liebe , Schopenhauer Wille , es kam auf die Perspektive an: Für Thomas führe es zu Gott, für Schopenhauer aber ins ziellose, blinde, um sich selbst kreisende Werden, das es zu überwinden gelte. In diesem Sinn legte Tom im November Frau Hermanns nahe, sich einen anderen Klavierlehrer zu suchen, bereute es aber sofort, was sich durch ein dumpfes Schmerzgefühl in seinem Oberbauch bemerkbar machte, und nach zweiwöchiger Pause, über die niemand je ein Wort verlor, ging er donnerstags wieder zu ihr. Währenddessen wurde es insgeheim Winter, Tag und Nacht unterschieden sich kaum noch, Grau wurde zu Schwarz, dann, in der Morgendämmerung, wenn das Jazztrio Holler, Baldur, Zadera aus dem Probenraum

Weitere Kostenlose Bücher