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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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auf die Straße hinaustrat, wieder zu Grau.
    Einmal, als sie im fahlen Licht gegen den Wind nach Hause liefen, sagte Marc, ohne Tom anzusehen: »Heute ist der 23. Januar.Der Geburtstag meines Vaters. Es ist immer Scheißwetter an dem Tag, soweit ich zurückdenken kann, war Scheißwetter.« Automatisch senkte Tom den Kopf bei diesem Thema. Aber Marc sah ihn nicht an, während er weiterredete: »Als er noch gelebt hat, habe ich seinen Geburtstag mal vergessen. Er hat gesagt, es macht ihm nichts aus, aber ich wusste, dass er enttäuscht war. Seit er tot ist, denke ich immer dran. Schon Wochen vorher, wenn es Winter wird, denke ich an seinen Scheißgeburtstag, komisch. Ich glaube, ich habe ihm nie verziehen, dass er gestorben ist.«
    Tom sah ihn an, er wollte fragen, was er damit meinte. »Verzeihen« schien ihm die falsche Wortwahl im Hinblick auf den Tod. Aber er sah, wie fest Marc seinen Mund zusammengepresst hielt, wie die Muskeln seines Kiefers sich spannten, als er unter dem Licht einer Straßenlaterne hindurchging und die Helligkeit über sein Gesicht strich. »Ich wollte ihn noch so vieles fragen«, sagte er. »Ich habe das Gefühl, dass nur er bestimmte Dinge weiß, über mich, über uns. Es ist, als ob die eigene Vergangenheit plötzlich fehlt.«
    »Man muss es sich zusammenreimen«, sagte Tom.
    Marc sah ihn fragend an.
    »Die eigene Geschichte. Man muss sie sich selbst zusammenreimen.«
    Marc lächelte seltsam, dünn. »Manchmal überlege ich, ob die Sachen, an die wir uns nicht mehr erinnern, noch irgendwo gespeichert sind, in einem universalen Fotoalbum oder so, der Augenblick, in dem wir das erste Mal auf eigenen Beinen gelaufen sind, als wir das erste Mal Musik gehört haben, was weiß ich, eine Katze gestreichelt haben, all die Sachen, die wahrscheinlich passiert sind, aber an die sich niemand mehr erinnert.Dass wir jetzt hier durch die Nacht laufen. Wahrscheinlich sind wir deshalb befreundet.« Er lachte. »Weil wir beide so ein verdammt schlechtes Gedächtnis haben. Wir brauchen uns, weil wir uns nichts merken können.«
    »Du hast ein schlechtes Gedächtnis, ich nicht!«, berichtigte Tom.
    »Umso besser«, sagte Marc. Er legte seinen Arm um Toms Schulter, wie er es manchmal tat. »Dann wirst du mich an alles erinnern, denn dafür sind Freunde da. Alles, was wir vergessen, ist weg, aber wenn wir zu zweit sind, erinnern wir uns an doppelt so viel. Wir haben doppelt so viel Leben.«
    Sie überquerten die Danziger Straße und bogen in die Knaackstraße ein. Schweigend gingen sie weiter, es schneite, und die weißen Flocken leuchteten im Licht der Autoscheinwerfer. Gelbliche Kegel voll wirbelnden Schnees.

DIE FREUNDIN
    Später dachte er oft, dass ihre Bekanntschaft mit einem Missverständnis begonnen hatte, und dieses, auch wenn es bald ausgeräumt worden war, schien ihm doch das bestimmende Vorzeichen dieser eigenartigen Freundschaftsbeziehung mit Betty Morgenthal geblieben zu sein, wie ein Kreuz in der Partitur eines schlampigen Komponisten, dessen Auflösung einfach vergessen worden ist.
    Es war kalt, aber auch schön, aber auch stürmisch, als sie sich begegneten. Wolkenfetzen flatterten wie lose Papiere am hellen, unaufgeräumten Himmel.
    »Raffi!« Eine fremde Stimme wehte über die hohe Hecke aufden Bürgersteig herüber, wo er, der Klavierlehrer, mit der Notentasche unter dem Arm, an einem Donnerstag im März auf das gusseiserne Gartentor der Hermanns’ zustrebte, tief in Gedanken, während ihm die Villen hinter den Gärten hinter den Zäunen mit den großen Augen ihrer in der Sonne blinkenden Fensterscheiben forschend nachblickten, ob er sich auch ordentlich angezogen, ob er auch die Fingernägel ausgekratzt habe.
    »Raffael!« Die Stimme, die seine Gedanken jäh durchkreuzte, sang. Sie beschrieb eine dramatische, nach unten stürzende Oktav, wie in einem Opernrezitativ. Sofort dachte er an Patrizia, die Tochter, die aus ihrem New Yorker Kunstkeller an den heimischen Tisch zurückgekehrt sein und aber der schönen Mama ganz bestimmt keine Liebesaffäre mit ihrem Klavierlehrer zugestehen würde, und in gleichem Maß, wie er sich für die Geliebte freute, die über die Heimkehr des verlorenen Kindes sicher beglückt wäre, ärgerte er sich für sich selbst. Er ging durch das Gartentor. Er freute sich, befahl sich die Freude. Die Vernunft schien mitfühlender zu sein als das Gefühl. Er ging über den gebogenen Kiesweg durchs fahle Grün des Rasens und sah von weitem ihren unförmigen Parka, das

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