Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Morgenthal eintrat, um Leinen und Hunde abzuliefern, war ihnen nichts anzumerken. Zu dritt standen sie in der Eingangshalle, froh über die Tiere, die eine gewisse Unverfänglichkeit herstellten, weil verlegene Blicke bei ihnen gut aufgehoben waren. Einer entwischte jedoch und sprang wie ein Tischtennisball zwischen Klavierschülerin und Klavierlehrer hin und zurück, bevor er endlich wieder auf Raffi hinabfiel, der einen Stofffetzen im Maul trug, worüber man sich kurz unterhielt. Im Gestrüpp habe er ihn langwierig ausgegraben und gebe ihn nicht mehr her, erklärte Betty. Ein schmieriges, braunes Stück Stoff, das Anne Hermanns erst nach eingehender Analyse als den Kaschmirschal identifizieren konnte, den sie ihrem Mann einst zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie lachte seufzend. Dann wurde es still. Man hätte die Stille in Scheiben schneiden und auf ein Brot legen können, bevor fast gleichzeitig, nur leicht versetzt, Betty Morgenthal und Anne Hermanns » tja, also dann« sagten. Etwas zu laut, etwas zu grell und nackt standen die Worte in der weiten leeren Akustik der Eingangshalle. Tom aber schwieg, zog mit seinem Blick eine Linie zwischen den beiden Frauen, die, wie ihm auffiel, genau gleich groß waren.
»Tja dann«, sagte Betty noch einmal, etwas leiser und tastete in ihrem Rücken nach der Türklinke.
»Sie müssen entschuldigen«, sagte Frau Hermanns. Sie sagte es langsam, wie zu einer Wand. »Ich sollte eigentlich schon seit fünf Minuten …«, sagte sie und zeigte mit einer halben Geste auf die schmale Armbanduhr an ihrem Handgelenk, doch ihr Gesicht hatte keinerlei Ausdruck. »Sie müssen wirklich entschuldigen«, wiederholte sie.
Kein Blick begleitete ihn, als er neben der Unbekannten langsam die Stufen hinabstieg.
Da sie, wie sich herausstellte, in dieselbe Richtung mussten und Bettys Bianchi-Rennrad einen Platten hatte, gingen sie ein Stück zusammen. Tom, während er äußerlich neben Betty Morgenthal herging, ging innerlich nochmals die Ereignisse der letzten Minuten durch. Er wusste nicht, weshalb, hatte aber das vage Gefühl, ihr den unerwarteten Abschiedskuss zu verdanken, was er sich selbst nicht erklären konnte. Er begann ein unverbindliches Gespräch, indem er sie fragte, wie sie dazu gekommen sei, die Hermannshunde auszuführen.
»Ich hab einen Aushang gesehen«, sagte sie. Ihre Hand ließ sie über die Stäbe eines dunkelgrünen Gartenzauns gleiten, was ein ratterndes Geräusch verursachte.
»Wo denn?«, sagte er.
»An meiner Hochschule, Hanns Eisler«, sagte sie.
»Dann bist du Sängerin?«, riet Tom, und Betty schien sich etwas zu wundern, bevor sie bejahte. Wie er darauf käme? Wie sie den Hund gerufen habe, erklärte er, ihr Sopran, und er selber habe den Zettel aufgehängt, sei auch an der Hanns Eisler, und kurz redeten sie über die Hochschule und den Zufall, dass sie sich dort noch gar nicht gesehen hatten, oder vielleicht doch, aber unbewusst.
Ihre Hand streifte über die Zäune und Hecken, die sie passierten. Der riesige Parka, der auf Höhe der Knie abstand, ließ nicht erahnen, ob sich darunter so etwas wie eine Figur eigentlich befand. Das Fahrrad lief zwischen ihnen.
»Ich studiere Klavier«, ergänzte Tom den kleinen Dialog, der vom Frühlingswind verweht zu werden drohte.
»Hab ich mir fast gedacht«, sagte Betty, »wenn du Klavierlehrer bist.« Sie lächelte ihn an, und eine Ader trat senkrecht auf ihrer Stirn hervor. Die Augen aber hielten sich an einer bestimmten Stelle in seinem Gesicht auf, als entdeckten sie da ein Zeichen oder als wäre seine Haut durchsichtig dort.
Wie sie dazu komme, hier draußen Hunde auszuführen, fragte er, etwas verunsichert aufgrund ihres Blicks. »Ist das nicht ein bisschen weit für dich, wenn du im Osten studierst?«
Sie wohne in Kreuzberg, außerdem sei sie sowieso manchmal hier an der Uni, wo sie sich ab und an ein paar Vorlesungen anhöre. Betty sah jetzt auf ihren Fahrradlenker hinab, der unter einem Sonnenstrahl aufblinkte, dann verlosch.
»Und was hörst du dir an?«
Betty atmete tief und geräuschvoll ein und wieder aus. Offensichtlich war dieses Gesprächsthema bei ihr nicht besonders beliebt, wodurch es Tom gleich noch viel interessanter erschien.
»Lass mich raten«, sagte er. »Du hörst dir Biochemie-Vorlesungen an. Du willst eigentlich … das Tierversuchslabor deines Vaters übernehmen, und du singst nur, weil du denkst, Hunde damit aus Büschen hervorlocken zu können.«
Jetzt lachte sie, obgleich sie es wohl
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