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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Zeiner
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eigentlich gar nicht vorgehabt hatte. Sie strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, die sofort wieder nach vorn kippte. »Gar nicht so falsch«, sagte sie. Aber ihr Gesichtsausdruck wechselte die Harmonie, Moll wardas jetzt und sehr ernst. »Ich höre mir Medizinvorlesungen an, weil es meine Eltern so wollen, und weil ich mich nicht traue, darauf zu pfeifen.«
    »Aha«, sagte er.
    »Und das Dämlichste ist, dass sie es gar nicht wissen«, sagte sie.
    »Sie wissen was nicht?«
    »Dass ich immer noch Medizinvorlesungen höre. Sie denken, ich studiere Gesang und fertig. Und es bringt sie fast um.«
    »Eltern sind etwas Grässliches«, sagte Tom bedächtig und sprach aus Erfahrung.
    »Sie denken, in fünf Jahren lebe ich unter einer Brücke und ernähre mich von nichts und vegetiere noch …«, sie fuhr mit einer Hand durch die Luft, aus der die richtigen Worte herauszufangen waren, »… noch ein, zwei Jahre vor mich hin und sterbe dann an Schwindsucht.«
    Sie schwieg. Das Zwitschern einer Amsel hing hoch über ihnen. Scharf und grell ausgeschnitten aus dem weichen Teppich der Hintergrundgeräusche dieser Allee.
    »Warum sagst du ihnen dann nicht«, sagte Tom, »dass du zu den Vorlesungen gehst? Wenn du schon hingehst. Das ist doch irgendwie unlogisch.«
    »Ich weiß«, sagte sie und lächelte. Ihr Mundwinkel und die angrenzende Haut konstruierten dabei ein Grübchen. »Ich bin ein eher unlogischer Mensch, glaube ich.« Sie nickte vor sich hin, als wäre ihr dieser Sachverhalt erst in diesem Moment als erstaunliche Erkenntnis aufgegangen. »Ich möchte nicht, dass sie es wissen, weil ich es selbst bescheuert finde. Ich will keine Medizinvorlesungen hören, ich will niemals Ärztin werden, ich will singen, das ist alles.«
    »Dann hör auf mit den Vorlesungen.«
    Betty zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich«, sagte sie. Weil wieder ein Wind durch die Allee fegte, mit seinem großen Besen, und Papiertaschentücher und Staub und loses Laub in die Luft hob, grub sie aus ihrer Umhängetasche eine rote Strickmütze und setzte sie auf. Die Bommel rollte auf ihrem Kopf herum. Unten flossen die Haare heraus. Tom versuchte sich vorzustellen, wie Anne Hermanns mit so einer Mütze aussähe, aber es gelang ihm nicht.
    »Das Blöde ist«, sprach Betty weiter und sah knapp an Toms Füßen vorbei, »dass sie mir ihr schlechtes Gewissen regelrecht eingeimpft haben. Sie konnten sich nie vorstellen, dass das Leben Spaß machen darf. Leben ist Pflichterfüllung, in erster Linie. Sie glauben, dass sie von irgendjemand hierhin gesetzt worden sind und dass sie gefälligst zu leiden haben. Und der Beruf ist nur dann ein Beruf, wenn er möglichst eine Qual ist. Je größer die Qual, desto besser, und je sicherer natürlich. Der Beruf muss eine sichere, unkündbare Qual garantieren, möglichst bis zum Rentenalter.« Sie schüttelte den Kopf, die Bommel taumelte, und plötzlich lächelte sie wie über ein faszinierendes, aber unlösbares Rätsel. Ihr Vater, sagte sie, sei mittlerer Finanzbeamter und insgeheim hasse er Zahlen. Er hasse es, jeden Morgen ins Amt zu gehen, er hasse dieselben beige lackierten Türen jeden Tag, den Kaffee, der lauwarm sei und nach Pisse schmecke, seinen Schreibtisch mit den Zahlen und Aktenordnern voller Zahlen, aber er würde niemals damit aufhören, weil der Beruf nun einmal Beruf sei und die Qual nicht groß genug sein könne. Betty hob ihre Hand ans Ohr, wie um sich zu kratzen, blieb plötzlich stehen. Sie blickte ihm ganz in die Augen und strahlte ein Lächeln, das sich vom Mund über das Gesichtausbreitete und nicht zum Thema passte. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte dich nicht so zumüllen.«
    Aber Tom sagte, dass er sich nicht vorkomme wie eine Müllhalde, dann schwieg er und dachte, dass er Menschen eigentlich nicht leiden konnte, die sich für das eigene Reden entschuldigen. Beide, Sprecher und Zuhörer, brachte dieses Verhalten in eine peinliche Situation, denn falls man das Reden tatsächlich als Belästigung empfand, so konnte man es nicht zugeben, andernfalls aber stand man auch sofort unter Generalverdacht. Dies sagte er ihr.
    »Ich hasse es, wenn sich Leute für so was entschuldigen«, sagte er, bereute es aber sofort.
    »Ich auch«, sagte Betty. »Es ist zum Kotzen. Tut mir leid!« Röte huschte über ihr Gesicht, dann lachten sie beide.
    Da die U-Bahn-Station längst hinter ihnen lag, gingen sie weiter, und weil das Thema passend erschien, erzählte Tom die Geschichte seiner Eltern. Er

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