Die Orks 01 - Die Rückkehr der Orks
emporblickte. »Wenn das Tor schon so groß ist, wie mag es da erst auf der anderen Seite der Mauer aussehen?«
»Tirgas Lan wurde einst ›Perle des Elfenreichs‹ genannt«, erklärte Alannah. »Es war der prunkvollste Ort, den amber je gesehen hat, mit lichtdurchfluteten Hallen, blühenden Gärten und Säulenhallen, in denen man lustwandeln konnte, wenn einem der Sinn danach war …«
»Bah!«, machte Balbok und verzog das Gesicht. »Licht und Farben überall. Eine entsetzliche Vorstellung.«
»Keine Sorge«, sagte Alannah, und Bitterkeit schwang in ihrer Stimme mit. »Es ist nichts mehr davon übrig. Hier an diesem Tor wurde einst schändlicher Verrat begangen, und es waren Kreaturen wie du und dein Bruder, die den Glanz und den Stolz von Tirgas Lan in Feuer und Blut versinken ließen.«
»Korr«, stimmte Balbok begeistert zu, »wo unsere Orkbrüder hintrampeln, da wächst so schnell nichts mehr. Ich finde, wir sollten …«
Er verstummte, als Rammar ihm einen harten Rippenstoß versetzte. Selbst der dicke Ork hielt es für wenig taktvoll, ausgerechnet an diesem Ort die Bluttaten ihrer Vorfahren zu rühmen. Alannah war ihre Betroffenheit deutlich anzusehen, und aus unerfindlichem Grund wollte Rammar ihr nicht noch weiter zusetzen.
»Wie öffnet man das Tor?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
Gedankenverloren blickte Alannah an der verschlossenen Pforte empor, deren unteres Drittel mit Moos und Wurzeln bedeckt war. Die Elfin schien sich für einen kurzen Moment an einem ganz anderen Ort zu befinden, zu einer anderen Zeit. Es war Corwyn, der neben sie trat und sie ins Hier und Jetzt zurückholte, indem er ihr sanft die Hand auf die Schulter legte.
»Der Ork hat dich etwas gefragt«, brachte er in Erinnerung – nicht um Rammar einen Gefallen zu tun, sondern weil er selbst darauf brannte, die Verborgene Stadt zu betreten.
»Ich weiß«, erwiderte sie leise. »Die Antwort habe ich längst gegeben: Es gibt keine Möglichkeit, das Tor von außen zu öffnen. Ein Fluch liegt darauf, und dieser lässt nur denjenigen passieren, den das Schicksal dazu ausersehen hat.«
»Und dich«, mutmaßte Rammar. »Schließlich bist du die Hüterin des Geheimnisses. Der Wald hat dir den Weg hierher gezeigt, also wird man dir auch die Pforte öffnen.«
»Es wäre möglich.« Alannah nickte. »Aber es kann auch sein, dass der Weg der Hüterin hier endet.«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, meinte Rammar grinsend, und wie ein Höfling, der seiner Herrin den Vortritt lässt, verbeugte er sich und fuchtelte einladend mit den kurzen Armen.
Alannah atmete tief durch. Es schien sie einige Überwindung zu kosten, sich der Pforte zu nähern – gerade so, als würden unsichtbare Hände sie zurückhalten wollen. In Wirklichkeit, dachte Rammar, war es wohl eher das schlechte Gewissen, das die Elfin plagte. Immerhin verriet sie gerade die letzten dreihundert Jahre ihres Lebens, und das war – so glaubte Rammar zumindest – selbst für einen Elfen eine lange Zeit.
Alannah trat vor die mächtige Pforte, vor der ihre leuchtende Gestalt fast winzig erschien. Der Odem der Vergangenheit schien die Elfin in den Bann zu schlagen. Sie verharrte, schloss die Augen und breitete die Arme aus.
»Was soll das denn jetzt wieder?«, flüsterte Rammar. »Können diese Elfen denn nicht einmal etwas tun, ohne vorher lange rumzumeditieren?«
»Klappe!«, zischte Corwyn. Der Kopfgeldjäger konnte seinen Blick nicht von Alannah lösen, und Rammar fragte sich, ob es die Gier nach dem Schatz oder die Begehrlichkeit nach der Elfin war, die den Menschen wie einen Ölgötzen starren ließ.
In der weichen, singenden Elfensprache, bei deren Klang sich einem Ork die Nackenborsten sträuben, sprach Alannah einige Worte, die jedoch wirkungslos verhallten. Die Elfin hob darauf ihre Stimme und sprach lauter, vollführte dabei effektheischende Gesten – das Ergebnis jedoch war dasselbe.
Das Große Tor von Tirgas Lan blieb verschlossen.
Uber die Schulter warf Alannah ihren Gefährten einen verunsicherten Blick zu, der deutlich verriet, dass sie nicht mehr weiterwusste. Noch einmal versuchte sie es, legte dabei ihre rechte Hand auf das Tor – und diesmal gab es eine Reaktion, auch wenn diese anders ausfiel als erhofft.
Die Elfenrunen, die in die riesigen Torflügel eingearbeitet waren, leuchteten auf einmal in jenem blauen Licht, das Rammar und Balbok schon in Shakara gesehen hatten. Schon glaubten die Gefährten, wieder hoffen
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