Die Orks 03 - Das Gesetz der Orks
Crysalion geherrscht hatte – und mit ihr auch die Erinnerung.
Der Schatten im Turm triumphierte.
Als er auf die anmutigen, von weißem Haar umrahmten Gesichtszüge blickte, die in den schimmernden Flächen des Kristalls zu sehen waren, hätte er selbst nicht zu sagen vermocht, was er dabei empfand. Seine Gefühle waren widersprüchlicher Natur und so alt, dass er sie kaum noch als die seinen erkannte. Lange Jahre hatten sie geschlummert, hatte er alles darangesetzt, sie zu vergessen, um auch den Schmerz und die Trauer hinter sich zu lassen. Aber nun war sie zurückgekehrt.
Schön wie einst, vor langer Zeit …
»Komm zu mir«, flüsterte er leise, und seine narbige Hand strich sanft, fast zärtlich über die glatten Flächen des Kristalls, dessen magische Kraft ihm alles zu zeigen vermochte, was innerhalb der Festungsmauern vor sich ging. »Komm zu mir, mein Kind. All die Jahre habe ich auf dich gewartet, und nun bist du wieder hier …«
Das Bild der Elfin verblasste und zeigte jemand anderen.
Einen Unhold, mehr breit als hoch, dem die Dummheit aus den Augen sprach, und noch einen, der doppelt so groß und dem Ausdruck seiner langen Fratze nach auch doppelt so dämlich war.
Dazu noch einen Menschen, einen Greis, dessen bloßer Anblick den Schatten langweilte – bis ihm klar wurde, dass er auch diese Gesichtszüge kannte!
»Sieh an!«, keuchte er mit einer Stimme, die aus dunklen Abgründen zu kommen schien, und zu all den widerstreitenden Gefühlen in seinem Inneren gesellte sich auch noch maßloser Hass. »Wer hätte gedacht, dass auch wir uns einmal wiedersehen, alter Freund?«
Und er schaute auf von dem Kristall und blickte in die Runde derer, die sich rings um ihn versammelt hatten – düstere, graugesichtige Gestalten, deren Herzen so schwarz waren wie die Kapuzenumhänge, die sie trugen.
Sie waren die Dun'rai, seine besten Krieger und Stellvertreter. Bei ihrem Blut hatten sie ihm Treue geschworen bis in den Tod, und jeder Einzelne von ihnen war nicht weniger vom Willen zur Vernichtung durchdrungen als er selbst.
»Es ist geschehen, meine tapferen Getreuen«, sagte er leise.
»Was, mein Gebieter?«, erkundigte sich Ravok, der zweite unter den Dun'rai und ihr Anführer, seit der erste Dun'ras auf unerklärliche Weise verschwunden war. »Was ist geschehen?«
»Unsere geliebte Königin«, sagte der Schatten. »Sie hat endlich an unsere Gestade zurückgefunden. Die Prophezeiung hat sich erfüllt.«
»I-ist das wahr, Gebieter?«
»Ja, meine Getreuen. Eineinhalb Jahrhunderte sind seit unserer Niederlage verstrichen – eine Zeit der Schande, die uns wie eine Ewigkeit erschienen ist. Aber wir haben sie genutzt und sind stärker geworden, als wir es uns damals erträumen konnten. Alannah ist zu uns zurückgekehrt, und mit ihr auch jener, dem wir unser dunkles Los zu verdanken haben. Die Zeit der Rache ist gekommen, meine Krieger – und ich gedenke jeden Augenblick davon bis zur Neige auszukosten …«
15.
OIGNASH OIGNASH!
»Rammar! Balbok!«
Auch Alannah war nicht wenig überrascht, sich den beiden Orks gegenüberzusehen. Durch das dunkle Labyrinth und den Korridor der Geheimfallen waren sie immer weiter ins Innere des Berges vorgedrungen und zuletzt der Treppe gefolgt, die sich steil nach oben wand. Das Dröhnen der Hämmer hatte mit jeder Stufe zugenommen, und bang hatte sich die Elfin gefragt, was sich wohl dahinter verbergen mochte. Nun kannte sie die Antwort – und sie war niederschmetternd.
In der großen Höhle, die sich vor ihnen erstreckte, sah Alannah Dutzende, wenn nicht Hunderte ausgemergelter Gestalten, die in Ketten gelegt waren und in einem Bergwerk schufteten. Der Anblick der Unholde, die von den Dunkelelfen versklavt worden waren und so gar nichts von jenen Wesen hatten, die die westlichen Weiten Erdwelts durchstreiften, war erschütternd. Doch dann war da noch ausgerechnet jenes Brüderpaar, das wie sie selbst offenbar immer gerade dort auftauchte, wo weltbewegende Dinge passierten.
Das alles führte ihr noch einmal vor Augen, dass die Fernen Gestade tatsächlich weit davon entfernt waren, jener Ort zu sein, der sie eigentlich sein sollten. Zum anderen wusste Alannah von diesem Augenblick an, dass mehr als nur bloßer Zauber im Spiel war.
Nämlich Bestimmung …
»Du!«, rief Rammar, und man konnte direkt sehen, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, sodass seine feisten Züge vor Zorn dunkelgrün wurden. »Du bist an allem schuld! Das wusste ich! Die ganze Zeit
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