Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
einem neuen Begriff hängen.
Seelenwanderung.
Davon hatte sie schon einmal gehört. Das hatte doch auch etwas mit Orpheus zu tun …
Wessely hatte es erklärt. Orpheus war nicht nur Musiker, sondern auch der Begründer eines Kults. Und die Anhänger dieses Kults glaubten an Wiedergeburt. Daran, dass jeder Mensch mehrere Leben lebte.
Mara gab andere Begriffe ein: Wiedergeburt. Seelenwanderung. Alte Seelen.
Und nun war sie mitten im Thema.
Wer daran glaubte, wiedergeboren zu werden, glaubte, dass seine Seele ewig lebte. Jede einzelne Wiedergeburt nannte man Reinkarnation. Nach dem Glauben der Hindus zum Beispiel stand am Ende vieler Reinkarnationen der Eintritt in das Nirwana – in einen Zustand höchster Vollendung.
Mara klickte sich durch verschiedene Artikel.
Alte Seelen waren oft wiedergeboren worden. Sie schleppten Erfahrungen vieler gelebter Leben mit sich herum. Daher wirkten diese Menschen auf ihre Zeitgenossen weise und abgeklärt. Deshalb waren sie alt.
Nur in Ausnahmesituationen wurde sich ein Mensch darüber klar, dass er ein früheres Leben hatte, und nur ganz selten konnte er sich daran erinnern. In Träumen zum Beispiel. Oder wenn man ihn unter Hypnose setzte.
Mara fand ein neues Wort, nach dem sie googeln konnte: Reinkarnationstherapie.
Die Erinnerung an frühere Leben führte nicht nur zu Weisheit und Abgeklärtheit. Sie konnte auch zur Qual werden. Vor allem, wenn man traumatische Erlebnisse erlitten hatte, die unbehandelt blieben. Je älter die Seele war, desto größer konnte der Anteil solcher Erlebnisse werden. Sie sammelten sich an wie Bodensatz in einer Teekanne.
Um dem entgegenzuwirken, versetzte der Therapeut den Patienten in Hypnose, sodass er sich an seine früheren Leben erinnerte, er sie noch einmal durchlebte. So spürte er traumatische Erlebnisse auf.
Mara las Blogeinträge von Menschen, die solche Therapien hinter sich hatten, und die dramatische Dinge schilderten.
Eine Frau war im früheren Leben Matrose auf der Titanic gewesen und bei deren Untergang umgekommen. Sie schilderte, wie das eisige Seewasser des Nordatlantiks ihre Lungen zu verbrennen schien, bevor sie nach einem qualvollen Todeskampf endlich das Bewusstsein verlor. Noch heute hatte sie panische Angst vor dem Meer.
Ein Mann war Sklave auf einer Baumwollplantage in den amerikanischen Südstaaten gewesen und erinnerte sich daran, wie man ihn regelmäßig ausgepeitscht hatte. Als man ihn an einen anderen Besitzer verkaufte, glaubte er zunächst, dass ihm nun ein besseres Schicksal bevorstand. Aber dann wurde er, gerade einmal sechzehn Jahre alt, das Opfer des offensichtlich homosexuellen Landbesitzers, der ihn – um seine Neigung zu verbergen – schließlich tötete, indem er ihm die Kehle aufschlitzte. Noch heute hatte der Mann seltsame Phantomschmerzen am Hals und mied das Tragen von Krawatten oder engen Kragen.
Auch Kinder wurden solchen Therapien unterzogen. Eine Elfjährige, deren Mutter freimütig im Internet alles veröffentlichte, behauptete, im Zweiten Weltkrieg von Soldaten vergewaltigt und ermordet worden zu sein. Während der Hypnose in der Reinkarnationstherapie habe sie plötzlich Russisch gesprochen – eine Sprache, die sie angeblich kein bisschen beherrschte.
Mara lehnte sich zurück. War sie auf der richtigen Spur? Hatte Wessely solche Leute gemeint, als er von den Alten Seelen sprach?
Aber warum sollte sich Mara vor ihnen in Acht nehmen? Und wenn es so viele gab – vor welchen genau?
Waren sie organisiert? Bildeten auch sie eine Art Sekte?
Sonst ergaben die Worte keinen Sinn.
Die Alten Seelen versuchten, über die Reinkarnationstherapie und ihre Hypnosemöglichkeiten in die Zeit von Orpheus zu gelangen. Das war ihre Methode, hinter dessen Geheimnisse zu kommen. Immerhin war ja eine solche Therapie etwas Ähnliches wie eine Zeitreise. Und wer sie unternahm, konnte sogar Orpheus persönlich begegnen.
Sie spürte, wie ein kalter Schauer über ihre Haut strich, und sie zuckte vor Schreck zusammen, als plötzlich Jakob neben ihr stand.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Was schaust du dir da an?«
Hinter ihm sah sie Rons rötlichen Haarschopf über dem Sessel herausragen. Von dort vernahm sie leise Schnarchgeräusche.
Jakob beugte sich herunter. »Reinkarnationstherapie? Wieso interessiert dich das?«
Er setzte sich neben Mara auf den Boden.
»Kann sein, dass ich mich da in etwas verstiegen habe«, sagte sie. Dann erzählte sie ihm, was Wessely erwähnt
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