Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
sagten Sie noch, es seien nicht so viele.«
»Es war jedenfalls ein junger Mann dabei. Das wird er gewesen sein. Er wirkte etwas … seltsam. Sprach langsam. Und einfältig.«
»Das ist er«, sagte der Sergente und schrieb etwas auf. »Er ist siebzehn, hat aber den Geist eines Kindes.«
»Was ist denn mit ihm geschehen? Steckt er in Schwierigkeiten?«
»Seit dem Besuch bei Ihnen in der Kirche hat ihn niemand mehr gesehen. Seine Brüder arbeiten beide in Florenz als Bauarbeiter. Als sie spätabends nach Hause kamen, war Tino verschwunden. Er kam die ganze Nacht nicht, und am nächsten Morgen haben sie die Behörden verständigt.«
Der Padre versuchte ein Lächeln. »Vielleicht hat er ein Mädchen kennengelernt …«
Der Sergente schüttelte den Kopf. »Ein Mädchen? Der? Welches Mädchen sollte sich denn mit ihm abgeben?«
»Sagen Sie …« Der Padre tat wieder, als müsse er stark nachdenken. »Dieser Tino … hatte er nicht ein Moped?«
»Ja, richtig. Eins mit Anhänger. Er hat im Haus eines deutschen Professors beim Renovieren geholfen. Und er hat mit dem Moped Material transportiert.«
»Vielleicht hatte er einen Unfall.«
»Nein, das Fahrzeug wurde ganz in der Nähe des Bauernhofs seiner Familie gefunden. Es wirkt fast so, als habe er es abgestellt … um dann zu verschwinden.«
»Das ist ja seltsam.«
»Ich habe da eine Theorie«, sagte Massimo, und in seiner Stimme schwang Stolz mit. »Mein Vorgesetzter ist davon nicht so sehr überzeugt, aber ich werde noch Beweise dafür finden.«
»Was für eine Theorie?«
»Tino war mit jemandem verabredet, der ein Auto hatte. Oder sogar einen Lastwagen. Der Junge ist mit dem Moped zum Treffpunkt gefahren. Dort hat er dann auf denjenigen gewartet. Es war vielleicht jemand, der ihm Arbeit gab. Jedenfalls hat ihn dieser Unbekannte mitgenommen.«
»Aber warum sollte er dann verschwunden sein?«
Der Sergente hob die Schultern. »Vielleicht ist er bei der Arbeit umgekommen? Und der Auftraggeber hat Angst, es zu melden, weil es Schwarzarbeit war?«
»Entschuldigen Sie, Sergente, aber das klingt doch ziemlich abenteuerlich.«
»Das finde ich nicht. Das Moped war vollkommen in Ordnung. Er hatte keinen Grund, seinen Weg damit nicht fortzusetzen. Und er wird sicher nicht zu Fuß weitergegangen sein …«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg, Sergente. Haben Sie noch Fragen an mich?«
Der Polizist schrieb wieder etwas und wiegte den Kopf hin und her. »Ja, eigentlich schon, aber …«
»Dann fragen Sie doch einfach.«
»Wenn der Junge bei Ihnen in der Beichte war … ich meine, Sie müssen es nicht sagen … aber hat er etwas gebeichtet, was mit seinem Verschwinden in Verbindung stehen könnte? Hatte er Schwierigkeiten?«
»Sergente, Sie wissen, dass ich diese Frage nicht beantworten kann!«
»Sie sollen sie ja auch nicht beantworten …«
»Eben.«
»Sie sollen mir nur eine Richtung weisen. Was ich sagen will … Sie brauchen mir nicht zu verraten, was der Junge genau gesagt hat. Aber gibt es etwas, das uns weiterhelfen könnte? Wenn wir wüssten , was er gesagt hat …«
»Sie wissen es nicht, und ich werde es nicht sagen.« Der Padre spürte, wie sich seine Brust weitete in dem Gefühl, seine ganze priesterliche Autorität walten zu lassen. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass es da nichts zu wissen gibt. Aus dem, was der Junge mir anvertraute, kann man nichts ableiten, was sein Verschwinden erklären würde. Ich habe nichts über einen Auftraggeber erfahren, auf den er gewartet haben könnte. Und wenn Sie mich fragen … Sollte er wirklich in einem Wagen mitgefahren sein, dann wird sich das eher zufällig ergeben haben. Ungeplant. Daher konnte er mit mir in der Beichte gar nicht darüber sprechen. Oder er hat mir etwas verheimlicht, was ich natürlich nicht ausschließen kann.«
Der Sergente hatte mitgeschrieben und nickte. »Danke, Padre. Danke für Ihre Kooperationsbereitschaft. Sie haben recht – mehr kann ich nicht verlangen. Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben.«
»Keine Ursache, Sergente. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg – und eine gesegnete Nachtruhe.«
»Ihnen auch, Padre.« Er klopfte auf das Blech des Wagendachs. »Soll ich Ihnen noch helfen, die Sachen ins Haus zu bringen?«
»Nicht nötig, Sergente. Haben Sie vielen Dank.« Der Padre musste sich zwingen, den Polizisten nicht durch die Hofeinfahrt hinauszuschieben. Massimo verabschiedete sich noch einmal, tippte wieder an seine Mütze, und dann verloren sich seine Schritte auf
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