Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Stufen, die hinunter auf den Platz führten, für Sergio eine Art unüberschreitbare Grenze darstellten, ging er nicht weiter, sondern deutete auf ein schmales Haus, das zur linken Häuserzeile des Platzes gehörte.
» Padre Antonio. La casa. Qua. «
» Grazie «, sagte Mara und ging hinunter. Als sie angekommen war, drehte sie sich zu Sergio um, aber er war verschwunden. Sicher hatte er sich wieder in die Kirche zurückgezogen.
Das Haus war schmal, und ein Drittel der Fassade im Parterre nahm der Eingang ein. Daneben hing eine Plakette an der Natursteinmauer. Mara versuchte zu lesen, was da stand. Es ging um die Kirche, um die Kirchengemeinde. Hier war sie richtig. Sie drückte auf die Klingel, aber nichts geschah. Die leere Einfahrt neben dem Gebäude schien auch zu dem Pfarrhaus zu gehören. Das Tor stand offen. Sicher war niemand zu Hause.
Also musste sie warten.
Sie ging hinunter zu der Bar, wurde schon beim Näherkommen von ein paar jungen Männern beäugt, die an der Theke standen. Einer rief ihr etwas zu, was sie aber nicht verstand, und die anderen lachten. Die dicke Wirtin, in einen hellblauen Hausfrauenkittel gekleidet, brachte sie zur Raison. Mara setzte sich an den Tisch vor der Bar. Kurz darauf kam die Wirtin, und es gelang Mara, ihr klarzumachen, dass sie aus Deutschland käme und mit dem Pfarrer sprechen wollte.
»Der Padre?«, fragte die Frau, während sie mit einem Lappen den Tisch abwischte. »Was wollen Sie von ihm?« Sie sprach deutsch mit Akzent.
»Mich interessiert die Geschichte der Kirche.«
»Ah, eine Studentin! Da kann Ihnen der Padre viel sagen.«
Mara begutachtete die kleine Speisekarte und bestellte Toast und Mineralwasser. Sie besaß nur noch fünf Euro und etwas Kleingeld. Als die Wirtin das Bestellte brachte, fragte sie, um sicherzugehen, ob der Pfarrer in dem Haus mit der Einfahrt und dem offenen Tor wohnte.
»Er ist wohl gerade unterwegs. Wird sicher bald kommen.«
»Und wer ist der alte Mann oben in der Kirche?«
»Ach, das ist Sergio. Der sagrestano … wie sagt man …«
»Küster?«
»Genau.«
Mara aß den Toast und ließ das Bild der Kirche über dem Platz auf sich wirken. Sie beobachtete die Tauben, die sich auf dem Pflaster niederließen und immer wieder von vorbeifahrenden Autos oder Motorrollern aufgescheucht wurden. Padre Antonio ließ auf sich warten.
Sie zog ihr Handy heraus und schaltete es ein.
Ob Jakob eine neue Nachricht geschickt hatte?
Dass ihr das jetzt erst einfiel. Aber es war nichts angekommen.
Nachdenklich schaltete sie das Telefon wieder aus, sah sich nach der Wirtin um und bezahlte.
Was sollte sie tun, wenn der Pfarrer nicht auftauchte?
Plötzlich sehnte sie sich nach einem Hotel. Nach einer Dusche. Nach richtigem Essen.
Sie stand auf. Das beste Mittel gegen die Müdigkeit war, sich die Beine zu vertreten. So spazierte sie zu dem Pfarrhaus zurück. Und kaum war sie dort angekommen, näherte sich aus einer der abzweigenden Gässchen Motorengeräusch. Ein kleiner Kombi kam um die Ecke gefahren und bremste neben der Einfahrt. Mara trat zur Seite, um ihn durchzulassen. Der Fahrer trug den typischen Kragenspiegel. Es war ein älterer Mann, aber nicht ganz so alt wie der Küster. Mara schätzte ihn auf etwa sechzig. Ein rosiges, rundes Gesicht, ein fast weißer Haarkranz um die Glatze.
Der Wagen rollte in die Einfahrt, und der Mann stieg aus. Er war kleiner als Mara und ziemlich dick. Er wollte etwas sagen, aber Mara sprach ihn gleich an.
»Padre Antonio?«, fragte sie.
Er hatte erst ein etwas selbstzufriedenes Lächeln zur Schau getragen, doch nun, als er sie genauer ansah, runzelte er die Stirn.
» Are you Padre Antonio?«
Und dann formten seine Lippen ein Wort. Und dieses Wort, das nicht wirklich artikuliert, sondern höchstens hingehaucht und geflüstert wurde, als sei es dem Priester gerade durch den Kopf gegangen – dieses Wort war Mara.
Du musst dich getäuscht haben, sagte sie sich sofort. Woher soll er wissen, wie du heißt? Er kann dich nicht kennen.
»Sind Sie Padre Antonio?«, fragte sie. Sie versuchte es einfach auf Deutsch. »Mein Name ist Mara Thorn«, fügte sie hinzu und beobachtete, wie der Padre sich um ein Lächeln bemühte.
»Ich komme aus Deutschland. Können Sie mich verstehen?«
»Guten Tag …« Der Padre sprach deutsch mit starkem Akzent. »Mara Thorn …« Nun schien er wieder über den Namen nachzudenken, und auf einmal wurde ihr klar, was passiert war.
Mara, du bist eine bekannte Musikerin. Es ist
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