Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Grinzing zu Füßen des Kahlenbergs. Von hier gab es gute Möglichkeiten, in die Stadt zurückzukehren.
Und dann?
Er musste Mara finden. Er musste wissen, ob sie in Quints und Deborahs Gewalt war.
Im Geist versuchte er, sich die Karte und die Klangfiguren vorzustellen, die sie am Computer generiert hatten. Bei Quints Eintreffen hatte er sie gelöscht. Mara hatte die Ausdrucke eingesteckt. Und wenn sie Mara hatten, dann besaßen sie auch die Zeichnungen …
Er konnte sich nicht an sie erinnern. Er kam noch nicht einmal drauf, wie die Ortschaften hießen, die verzeichnet gewesen waren. San Marino? Nein … San Martino. Schon eher.
Wenn er sich eine Karte in einem Buchladen ansehen konnte, würde ihm das vielleicht helfen.
Endlich erreichte er die ersten Häuser. Hier gab es eine Bushaltestelle. Die Aussicht, auf den Bus zu warten, behagte ihm nicht. Aber er hatte keine Wahl.
Die Schatten wurden länger. Der Nachmittag verwandelte sich langsam in einen kalten, dunklen Herbstabend.
Sei geduldig. Du hast eine Chance. Sie haben sie dir gegeben. Warum auch immer.
Das Handy summte kurz. Da kam eine Nachricht.
Jakob riss das Telefon aus der Tasche.
Eine SMS von Mara.
Sie bestand nur aus wenigen Zeilen. Aber nun wusste Jakob, dass sie in Italien war.
Der Bus kam. Er setzte sich hinein und schrieb eine kurze Antwort. Dann versuchte er noch einmal, sie anzurufen.
Aber sie hatte das Handy wieder ausgeschaltet.
53
»Die Orphiker«, sagte Padre Antonio nachdenklich, »kann man wirklich als eine Sekte bezeichnen.«
»Glauben Sie denn, dass Orpheus eine Art Jesusfigur war?«
»Genau darum. Ich muss da etwas weiter ausholen … Es ist ein Geflecht aus historischen Strömungen und Entdeckungen. Die Musik hat auch damit zu tun … Ich hoffe, Sie haben Zeit mitgebracht.«
Mara blickte aus dem Fenster. Der Platz vor der Kirche lag im Schatten. Sie fragte sich wieder, wo sie die Nacht verbringen sollte. Aber wenn Padre Antonio ihr wirklich die Informationen geben konnte, die sie suchte, dann würde sie notfalls die ganze Nacht hier sitzen bleiben.
»Natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, fügte sie hinzu. »Ich möchte Ihnen auf keinen Fall Ihre wertvolle Zeit stehlen.«
»O nein. Vor der Frühmesse morgen habe ich keine Verpflichtungen mehr.« Der Padre lächelte vor sich hin. Dann sah er plötzlich Mara an, und sein Blick wurde forschend. »Sie haben mir eine Menge berichtet. Aber eines verstehe ich noch nicht. Wieso interessieren Sie sich so sehr für die Geschichte der Orphiker? Sie wirken, als hätten Sie persönlich etwas mit ihnen zu tun.«
Mara hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde. Und sie hatte immer wieder überlegt, ob sie die Wahrheit sagen sollte, wenn die Frage auf den Tisch kam. Und nun, wo es so weit war, entschloss sie sich dazu.
»Ich habe das Gefühl, die Orphiker haben etwas mit meiner Familie zu tun«, sagte sie.
»Tatsächlich? Welche Anhaltspunkte haben Sie dafür?«
»Ich habe es von einem Freund erfahren.« Jetzt hatte sie doch Angst, die Wahrheit zu sagen.
»Ein Freund? Sie meinen doch nicht etwa meinen alten Weggefährten Georg Wessely?«
Die Überraschung fuhr Mara in den Magen wie eine plötzliche Talfahrt auf der Achterbahn. »Doch. Genau ihn meine ich. Sie kennen ihn?«
»Wir haben hin und wieder … sagen wir … Einen regen Austausch. Die Geschichte der Orphiker ist ein Thema, über das wir uns gelegentlich unterhalten haben. Wie geht es Georg? Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie noch vor Kurzem mit ihm gesprochen?«
Wieder sah sich Mara in einer Zwickmühle. Sollte sie dem Padre sagen, dass Georg tot war? Wusste er vielleicht schon davon und erwähnte es nicht, um sie zu testen? Padre Antonio war freundlich, aber diese Freundlichkeit hatte etwas Maskenhaftes. Es konnte sein, dass dieser Eindruck durch den italienischen Akzent entstand, der sein Deutsch einfärbte. Dieser Zungenschlag wirkte wie ein Vorhang, der vor Mara das Wesentliche zu verschleiern schien.
»Ich sage Ihnen jetzt etwas …«, begann sie.
»Ja?« Die Reaktion des Priesters kam ein wenig schnell, als habe er darauf gelauert, aus Mara etwas herauszubekommen. Dabei war sie es doch, die Informationen wollte.
»Ich habe nur eine Bitte«, fuhr sie fort. »Sagen Sie mir alles, was Sie über die Sekte wissen. Wie gesagt. Ich möchte mehr darüber erfahren, weil es mit meiner Familie zusammenhängt. Ich bin ein Waisenkind gewesen. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt. Danach wuchs ich
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