Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
bei Pflegeeltern auf.«
Und ich habe den Verdacht, dass ich nach dem seltsamen Glauben der Sekte der wiederauferstandene Orpheus bin, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber das wollte sie dem Padre nicht sagen. Es hätte vollkommen verrückt geklungen.
»Ich kann Ihnen einiges berichten«, sagte er.
»Also gut.« Sie nickte. Und sie nahm innerlich Anlauf, bevor sie sagte: »Georg Wessely ist tot.«
»Was?« Der Padre riss die Augenbrauen hoch. Mara hielt seine Überraschung für echt. Er starrte sie ein paar Sekunden sprachlos an, dann schlug er hastig das Kreuzzeichen.
»Er wurde ermordet.«
» Dio! Wer hat das getan?«
»Menschen, die ebenfalls hinter dem Geheimnis der Orphiker her sind. Es klingt sicher seltsam für Sie. Ich meine, wo Sie sich vor allem mit den historischen Hintergründen befassen. Aber es gibt Menschen, die wollen aus dem Wissen über Orpheus und all die Theorien ein Geschäft machen. Ein Musikgeschäft. Die Melodien des Orpheus. Die Musik, die die Welt verändern kann. Ein Mensch, den man als wiederauferstandenen Orpheus feiern kann.«
Der Padre sah sie verwundert an, und die Verwunderung steigerte sich mit jedem Wort, das Mara aussprach.
»Wie kann ich es Ihnen nur erklären? Die Medienwelt. Das Geschäft mit Musik, mit Geschichten …« Ihr fehlten die Worte. Sicher hatte der Geistliche noch nicht einmal einen Fernseher.
»Die Welt der Medien«, sagte der Padre. »Ich verstehe, was Sie meinen. Diese Welt lebt selbst von Mythen. Es ist ein Prinzip, das in allen Zeiten gültig war und das mit den Mitteln jeder Zeit unter die Leute gebracht wurde. Im Mittelalter mit langen Versepen, die von den Sängern auf den Burgen vor den Landesherren vorgetragen wurden. In der Renaissance durch andere Dichtungen, mit Bildern und mit Opern. Später mit Theaterstücken, Filmen und heute eben Fernsehsendungen. Es ist immer dasselbe. Und ich kann mir vorstellen, dass man nach wie vor auf der Suche nach Mythen ist, die man benutzen kann, um damit Geschäfte zu machen.«
Ja, dachte Mara. Das traf es genau.
»Aber diese Leute, die Georg umgebracht haben«, sagte er, »wissen sie, dass Sie hier sind?«
»Ich glaube nicht«, sagte Mara. »Es ging ihnen ja gerade darum, diesen Ort hier zu finden. Den Ort, wo sich die Orphiker versammelten. Wo befindet er sich denn? Oder gibt es ihn gar nicht mehr?«
Der Blick des Padre war wieder forschend. »O doch, es gibt ihn. Die Frage ist nur, wer erfahren sollte, dass es ihn gibt. Haben Sie jemandem mitgeteilt, wohin Sie gereist sind?«
»Ich bin alleine unterwegs. Niemand weiß es.«
Er nickte. »Das ist gut. Ich denke, ich kann Ihnen den Ort zeigen.«
»Und Sie müssen mir alles sagen, was Sie darüber wissen. Das haben Sie versprochen.«
»Ich werde es Ihnen erklären, während wir unterwegs sind.«
»Ist der Ort weit entfernt?«
»Weit oder nicht weit … Er ist weit entfernt, denn er stellt eine ganz andere Welt dar. Nein, ich scherze nur. So weit ist es nicht. Aber wir müssen mit dem Wagen fahren.«
»Dann ist es nicht die Kirche?«
»Nein. Wie kommen Sie darauf?«
Mara holte die Zeichnungen hervor. Die Karte und die Klangfiguren. Der Padre nahm die Blätter und betrachtete sie interessiert.
»Woher haben Sie das?«
»Georg Wessely hat es mir gegeben«, sagte Mara. Sie hatte nichts über die Suche nach den Dokumenten im Stephansdom gesagt. »Er hat die Blätter gut versteckt. Ich konnte sie jedoch finden. Nach seinem Tod.«
»Aber woher wussten Sie, dass sie existieren?«
»Er hat es mir gesagt.«
»Und Sie haben sie ganz allein gefunden? Ich meine, es hat Ihnen niemand geholfen?«
Mara seufzte. »Georg Wessely hatte einen Freund, einen Wiener Antiquar. Sie haben zusammengearbeitet. Er heißt Jakob Lechner. Kennen Sie ihn?«
Der Padre schüttelte den Kopf.
»Er hat mir geholfen. Aber er ist in Wien geblieben.«
»Und warum? Ist er nicht an dem Thema interessiert?« Der Blick des Padre wurde immer intensiver.
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Mara. »Ich habe den Kontakt zu ihm verloren.«
»Er wird auch im Fadenkreuz der Leute stehen, die Georg umgebracht haben«, sagte der Padre, und Mara sah, dass seine Hände, die die Blätter hielten, zitterten. »Hat die Polizei nichts herausgefunden?«
»Ich bin aus Wien fort, bevor ich darüber Näheres erfahren konnte.«
Der Padre betrachtete die Zeichnungen und die Noten. Immer wieder runzelte er die Stirn. Besonders lange hielt er sich mit der Karte auf.
»Der Ort, den Sie suchen, ist nicht in
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