Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Das Ganze wahrscheinlich recht zwanglos an einem Ort, der eben zu der Akademie gehörte und zu dem auch nur Mitglieder Zutritt hatten. Der eigene Ort gehörte also zur Tradition der Akademien.«
»Ich verstehe«, sagte Mara. »Aus der Akademie, die die Söhne des Kaufmanns gegründet hatten, wurde die Orphische Sekte.«
»Man muss wissen, dass Rom um 1700 eine Hochburg für sogenannte Akademien war. Es gab welche zu allen möglichen Themen. Berühmt war die Arkadische Akademie, der viele Komponisten angehörten – zum Beispiel Arcangelo Corelli. Als der deutsche Musiker Georg Friedrich Händel als junger Mann Anfang des 18. Jahrhunderts nach Rom kam, um hier bei den Meistern der Barockmusik zu lernen, hatte er zu dieser Arkadischen Akademie und ihren Mitgliedern engen Kontakt. Und jetzt wird es interessant …«
Mara wartete die Kunstpause ab. Abgesehen davon, dass der Padre viel historisches Wissen abließ, dem Mara nicht immer ganz und gar folgen konnte, war auch das, was er bisher gesagt hatte, nicht uninteressant gewesen.
»Wie gesagt, wir sind jetzt in Rom. In der Hochburg der katholischen Kirche. Die Oper hatte sich in den hundert Jahren ihres Bestehens zu einer Ausgeburt der Unmoral entwickelt. Unsittliche Dinge geschahen auf den Bühnen. Man stellte Liebesleidenschaften zur Schau. In den Aufführungen mietete sich die höhere Gesellschaft Logen und ging darin ihrem lasterhaften Treiben nach. Die Musik peitschte die Emotionen dazu an. Es herrschte Sodom und Gomorrha. Das veranlasste den Heiligen Vater …«
»Den Papst?«
»Ganz genau … Es veranlasste Seine Heiligkeit, die Theater zu verbieten. Die Theater und die Oper. Die Orphiker suchten sich einen anderen Ort. Einen in der Nähe von Florenz. Außerhalb des päpstlichen Einflussbereichs. Und sie warben Mitglieder der Arkadischen Akademie ab. Die Arkadische Akademie wurde vielleicht sogar die offizielle Seite der Orphischen Akademie. Ich muss sagen, das Ganze hat eine besonders pikante Note, denn der Arkadischen Akademie gehörten auch Kirchenleute an. Kardinäle … Aber es sind eben alles schwache Menschen, und man weiß gar nicht, ob sie wirklich etwas von dem Doppelspiel mitbekamen. Wahrscheinlich haben nur die Musiker als harter Kern etwas davon gewusst … Leute wie Corelli, Händel und viele andere. Sie sind hierher in die Einsamkeit abseits von Florenz gekommen und haben sich getroffen.«
»Aber was haben sie hier getan? Geredet? Über Orpheus?«
»Geredet?« Der Padre lachte. »Vielleicht haben sie geredet. Aber sie werden sicher auch noch andere Dinge getan haben … Überlegen Sie doch mal. Die Leute waren Musiker. Was haben sie wohl gemacht?«
»Zusammen Musik gemacht?«
»Der Gedanke liegt nahe. Ich denke sogar, dass sie nicht einfach nur gespielt haben. Sie haben sich gegenseitig etwas beigebracht. Sie haben die Geheimnisse der Musik erforscht. Sie haben darüber nachgedacht, wie man mit Musik Geld verdienen kann. Wissen Sie, wir reden hier über das Barockzeitalter. Wir reden über eine Zeit, in der Musiker zu hoch bezahlten Bediensteten an den Höfen aufstiegen. Sie musizierten und sie komponierten. Sie waren Virtuosen, deren Ruhm durch ganz Europa hallte, also durch die ganze damals bekannte Welt. Und sie waren Stars. Und das ist noch nicht alles. Ich denke, die Orphiker haben auch für den musikalischen Nachwuchs gesorgt. Sie haben nach jungen Talenten Ausschau gehalten. Nach Musikern, die so begabt waren, zum Orpheus ihrer Zeit erkoren zu werden. Viele Musiker hat man damals mit dem Beinamen ›Orpheus‹ versehen. Das ist sicher mehr als ein Wortspiel gewesen. Welche Auswirkungen das hatte, sieht man am Beispiel von Georg Friedrich Händel, den ich schon erwähnte. Er kam 1707 nach Rom. Dort hatte er nachweislich Kontakt zur Arkadischen Akademie. Er konnte nicht Mitglied werden, weil er zu jung war – gerade mal zweiundzwanzig Jahre. Aber er komponierte viel und zeigte sein Talent. Einer seiner Mentoren muss Arcangelo Corelli gewesen sein, aber auch ein anderer Komponist der Arkadier, der heute noch bekannt ist: Alessandro Scarlatti. Für Corelli hat Händel einiges komponiert, und Corelli wiederum war einer der ersten großen Geigenvirtuosen der Musikgeschichte … Viele Orphiker waren Geiger.«
»Die Geige«, rief Mara. »Die Schwarze Violine. Was hat sie mit den Orphikern zu tun?«
»Sie trug das Zeichen der Gruppe. Das Sternbild der Lyra, das Symbol für Orpheus. Sie muss im Auftrag der Orphiker gebaut worden sein.
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