Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
befahl ihren Beinen zu gehen, mit Jakob Schritt zu halten, zu rennen. Sie hielt an, weil ein unbändiger Hustenreiz sie erfasst hatte. Doch Jakob kannte keine Gnade.
»Weiter«, schrie er. »Wir müssen weiter.«
Alles in Mara schrie danach, sich einfach hinzusetzen. Auszuruhen. Aber Jakob ließ es nicht zu.
»Es wird gleich besser gehen«, rief er.
Mara keuchte und spuckte.
Endlich kam sie zu Atem.
Sie sah sich um. Sie waren in einem Gang. Jakobs Lampe leuchtete wieder.
»Geht es?«, fragte er.
Sie beugte sich vor und hustete, Tamara an sich gepresst. Die Schwarze Violine war nicht mehr schwarz. Sie war von hellem Staub bedeckt. Aber unversehrt.
»Wo sind wir?«, fragte Mara.
»Komm weiter.«
Jakob folgte dem Gang, und Mara blieb nichts anderes übrig, als Tamara zu nehmen und hinter ihm herzugehen. Der Gang wurde enger. Geröll bedeckte den Weg.
Weit hinten schien Tageslicht hereinzuscheinen.
»Warte hier«, sagte Jakob und legte die Lampe auf den Boden. »Ich gehe vor. Warte auf mich.«
»Aber warum?«, rief Mara. »Wo sind wir?« Doch seine Gestalt verschwand irgendwo weiter hinten. Einen Moment hörte sie noch seine Schritte, dann wurde es still. Dafür schien sich der helle Schein auszudehnen.
Wie lange sollte sie warten? Sie hob die Lampe auf.
Wieso lässt du mich hier alleine?, dachte sie. Was ist, wenn Deborah und Quint kommen? Der Keller ist eingestürzt. Sind sie tot? Oder haben auch sie diesen Durchgang entdeckt und kommen mir nach?
Sie leuchtete in den Gang, durch den sie gekommen waren, aber der Lichtschein verlor sich in der Dunkelheit.
Hatte es ein neues Erdbeben gegeben?
Das Dynamit. War es demjenigen, der es installiert hatte, gelungen, die Höhle doch noch zu sprengen?
Wie auch immer, sie musste hier heraus.
Sie nahm die Lampe, drückte Tamara an sich und ging entschlossen den Gang weiter. Jakob hatte nicht gesagt, wie lange sie warten sollte. Und er hatte auch nicht gesagt, was geschehen würde. Ob er vorhatte, zurückzukommen und sie zu holen.
Sie gelangte in einen runden Raum mit gemauerten Wänden. Schiefe Stufen aus Natursteinen führten steil nach oben. Mara konnte nicht erkennen, wo sie endeten. Sie machte sich an den Aufstieg, roch plötzlich frische Luft, roch Erde und Laub. Der Ausgang war durch wucherndes Gebüsch versperrt, und als Mara sich hindurchgearbeitet hatte, stand sie unter dem nächtlichen Himmel, der überraschend hell war und an dem der Mond zwischen den Wolken leuchtete. Sie war umgeben von kleinen Bäumen und Büschen. Sie ging ein paar Schritte und erkannte den Rest einer Mauer, der quer durch das Terrain ging. Efeu hatte sich darübergeschlungen. Ein kleiner Nadelbaum krallte sich mit seinen Wurzeln an den Steinen fest.
Wind kam auf, und es kam Mara vor, als habe ihr Erscheinen ihn heraufbeschworen. Sie sah sich um, aber außer den Mauern und dem lichten Wald war nichts zu erkennen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hingehen sollte.
»Jakob?«, rief sie, aber wie zum Hohn streifte der Wind stärker durch das Laub der Bäume und säuselte dabei, als wolle er ihr etwas sagen, was sie aber nicht verstand.
»Jakob, wo bist du?«
Ein paar Schritte, und sie war an der Mauer. Und plötzlich kam etwas in ihr Blickfeld, das nicht hierherzugehören schien. Ein großer blauer Rucksack. Es war einer von der Sorte, wie sie Weltenbummler benutzten. Er schien brandneu zu sein.
Mara öffnete ihn und begann, den Inhalt zu untersuchen.
Es war Kleidung in ihrer Größe darin: eine Jeans, ein Sweatshirt, sogar eine Lederjacke. Ein Umschlag mit Geld. Mara zählte zweitausend Euro. Schließlich zog sie ein weiteres zugeklebtes Kuvert hervor, auf dem in Blockbuchstaben ihr Name stand.
Sie öffnete ihn nicht, zog lediglich die neue, saubere Kleidung an und packte alles in den Rucksack zurück. Sogar Tamara hatte darin Platz. Sie würde bald einen neuen Kasten für sie kaufen.
Während sie das Gelände durchwanderte, hoffte sie immer noch, auf Jakob zu stoßen. Aber nach und nach wurde ihr klar, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, wenn er es nicht wollte.
Irgendwann war ihr, als höre sie einen Motor in der Ferne aufheulen. Sie blieb still stehen und lauschte. Nach einiger Zeit brummte wieder irgendwo ein Fahrzeug vorbei. Sie wanderte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
Schließlich erreichte sie eine Straße. Sie ging so lange, bis sie eine Bushaltestelle fand. Im künstlichen Neonlicht las sie Jakobs Brief.
Liebe Mara,
wenn Du das liest, hast
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