Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
der frischen Luft war, atmete sie kräftig durch.
Sie musste ruhig bleiben. Sogar wenn Gritti daraufkam, dass sie die Schlüssel gestohlen hatte, würde er nicht dahinterkommen, was sie damit wollte. Wahrscheinlich befasste er sich jetzt sowieso erst einmal mit der Geige. Um dann gesagt zu bekommen, dass es sich um ein Schülerinstrument handelte. Das billigste, das Mara auf die Schnelle hatte besorgen können.
Die Violine hatte mit Kasten gerade mal hundertfünfzig Euro gekostet.
Es war später Nachmittag, als Quint am Flughafen Köln/Bonn ankam. Kaum hatte er die Ankunftshalle erreicht, suchte er sich eine Sitzgelegenheit und ging mit seinem Rechner online.
Maras Handy war immer noch tot. Sie wusste also Bescheid.
Schade, es wäre einfacher gelaufen, wenn er sie aufgespürt hätte.
Aber es würde auch so funktionieren. Unter der Bedingung, dass es noch nicht zu spät war.
Er packte den Laptop ein, suchte sich ein Taxi und ließ sich auf dem schnellsten Weg nach Köln bringen.
24
Mara wartete, bis es dunkel geworden war. Während sie am Rhein herumspazierte, juckte es sie immer wieder in den Fingern auszuprobieren, ob einer der Schlüssel überhaupt zu Grittis Wohnung passte.
Sie betrachtete den Bund genauer. Neben normalen Schlüsseln hing ein abgerundetes, dunkles Plastikteil daran. Auf der Oberseite befand sich ein kleiner Knopf. Es konnte ein elektronischer Autoschlüssel sein. Oder ihre Eintrittskarte zur Wohnung in dem Kranhaus.
Sie hätte es am liebsten sofort ausprobiert.
Aber sie beherrschte sich. Es war besser zu warten. Zumindest bis Gritti um sieben seine Party feiern würde.
Mindestens zehn Mal sagte sie sich, dass sie genauso gut sofort hingehen könnte. Dann wusste sie wenigstens Bescheid.
Sie lehnte sich an ein Geländer und sah auf die dunkelgrauen Rheinwellen. Bescheid – worüber?
Sie vertraute einem anonymen Mailschreiber und Chatpartner, der sie dazu verleitete, in eine Räumlichkeit einzudringen, wo sie nichts verloren hatte.
Aber es passte doch alles zusammen. Dieser Orpheus wusste so viel über sie. Er würde auch in den anderen Dingen recht haben.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. Kurz nach halb fünf.
Sie ging langsam durch den Rheingarten nördlich der Deutzer Brücke, wo sich auch um diese Jahreszeit die Touristen tummelten. Sie sah den Frachtschiffen nach, die schwerfällig, aber kraftvoll den Fluss durchpflügten.
Schließlich hielt sie sich stromaufwärts. Die drei markanten Kranhäuser auf dem ehemaligen Hafengelände wirkten wie Glastürme, die auf halber Höhe im rechten Winkel zum Rhein hin abknickten. Die Form der Drillinge sollte daran erinnern, dass sie sich auf dem Gelände eines ehemaligen Hafens befanden. Sie waren eine architektonische Sensation, die weit über die rheinische Metropole hinaus berühmt geworden war.
Prominente rissen sich um die teuren Wohnungen. Anwälte, Architekten und Angehörige anderer Berufsgruppen, die Wert auf Statussymbole legten, zeigten noch stolzer als üblich ihre Visitenkarten, wenn sie damit beweisen konnten, dass sich ihr berufliches Domizil in einem der abgeknickten Häuser befand.
Warum John sich dort eine Wohnung gekauft hatte, die er auch als Büro nutzte, wusste Mara nicht. Sie schätzte ihn nicht als jemanden ein, der mit seiner Adresse Eindruck machen wollte. Wahrscheinlich hatte ihm die Lage über dem Fluss mit großartigem Blick auf das andere Rheinufer bis hinüber ins Bergische Land gefallen. Oder er liebte als Amerikaner Häuser, die viele Stockwerke besaßen.
Der Abend war hereingebrochen, als Mara sich an den Eingangsbereich des Hauses herantraute. Hinter der Glastür befand sich eine lange Theke, hinter der ein Pförtner saß. Ob sie an dem vorbeikam, ohne dass er Fragen stellte? Aber sie hatte einen Schlüssel. Sie konnte immer behaupten, für John Gritti, von dessen Tod der Pförtner doch sicher noch nichts wusste, etwas aus der Wohnung holen zu müssen.
Oder war Al Gritti schon hier gewesen? Und der Pförtner würde ihn zur Kontrolle anrufen?
Als hätte der Gedanke etwas ausgelöst, griff der Mann an der Theke zum Telefon. Mara setzte sich in Bewegung und marschierte durch die Glastür. Ihre Schritte hallten durch den Raum. Sie lächelte dem Pförtner selbstsicher zu, wie jemand, der hier zu Hause war, den Schlüsselbund sichtbar in der Hand. Im Aufzug war zum Glück gerade eine Kabine im Erdgeschoss. Als Mara sie betreten hatte, versuchte sie, sich zu erinnern, auf welcher Etage Johns Wohnung überhaupt
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