Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Tür. Nun war eine Stimme zu hören. Ein technisches Rauschen. Der Mann hatte ein Funkgerät.
Vielleicht rief er Gritti an und fragte, ob es in Ordnung war, dass eine dunkelhaarige junge Frau, die entfernt an eine Punkerin erinnerte, in die Wohnung gegangen war.
Unsinn, dachte Mara. So weit konnten die nicht gehen. Die Wohnungsbesitzer durften den Schlüssel ja wohl noch einer anderen Person geben …
Und wenn er Gritti anrief – wusste er überhaupt, dass der Gritti, der hier wohnte, tot war? Dass der Bruder alles übernommen hatte?
Sie tastete nach einem Schalter. Sie musste die Zeit nutzen.
Du wirst Unterlagen finden. Womit Gritti sich beschäftigt hat. Die Gründe, warum er aus Dir einen Musikstar machen wollte. Die Gründe, warum er Dich unterstützt hat.
Mara gab die Suche nach dem Schalter auf. Ihre Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt. Sie erkannte, dass sich an den Eingangsbereich ein breiter Durchgang anschloss, der in einen großen Raum führte. Sie erinnerte sich. Es war ein kombiniertes Wohn- und Arbeitszimmer.
Hinter einer riesigen Fensterfront waren die Lichter der Stadt jenseits des Flusses zu sehen. Mara ging näher, bis sie das Glas erreichte. Wenn sie den Kopf senkte, konnte sie das schimmernde, glänzende Wasser des Rheins erkennen. Sie blickte sich im Zimmer um. Sie nahm den Schreibtisch ins Visier. Die Rückseite, wo sich Aktenschränke befanden, lag im Dunkeln. Der große schwarze Bürostuhl wirkte wuchtig. Einen Moment lang streifte Mara die Vision, John säße darin und starre sie an – stumm, tot, als Gespenst. Ein Schwall von Kälte rann über ihren Körper. Der Schreck nahm ihr für eine Sekunde den Atem. Sie biss die Zähne zusammen, spannte ihre Muskeln an und ließ dann wieder locker. Jetzt ging es besser.
Auf dem Schreibtisch erhob sich der blasse Schirm einer Lampe. Mara tastete nach dem Messingfuß, fand den Schalter und drückte auf den Knopf. Nun lag der Raum in warmem Licht. Die Scheiben, hinter denen das großartige Kölner Panorama gestanden hatte, waren nun dunkle Spiegel.
Keine Zeit für Pietät. Oder gar die Ordnung zu wahren. Sie nahm einen Ordner nach dem anderen heraus und blätterte darin.
Was genau suchte sie eigentlich?
Womit sich Gritti beschäftigt hat. Warum er einen Musikstar aus ihr machen wollte.
Es waren mindestens zwanzig, dreißig Ordner. Verträge, Briefwechsel, Zahlungsbestätigungen, dazwischen Kopien von Schecks und Kontoauszügen. Alles durcheinander. Oder nach Johns eigenem System sortiert, das sie nicht kannte.
Die Vertragspartner waren Veranstalter, Hallenbetreiber, CD -Presswerke. Das meiste auf Englisch. Und es war sicher nicht das, was Mara suchte. Am Ende hatte sie ein großes Durcheinander angerichtet, ohne fündig geworden zu sein.
Oder ich erkenne es nicht, dachte sie. Ich bin nicht in der Lage, mir einen Reim darauf zu machen.
Groll kroch in ihr hoch. Groll auf diesen Orpheus, der sie in diese Lage gebracht hatte. Vielleicht sollte sie ihn kontaktieren. Hier und jetzt. Vielleicht war er ja verfügbar. Ihr Computer hatte sogar eine Kamera. Sie konnte ihm das Büro zeigen, und er konnte ihr sagen, was sie tun sollte. Wo er verdammt noch mal irgendwelche Unterlagen vermutete, die Mara weiterbrachten. Bevor sie erwischt wurde und noch ins Gefängnis wanderte.
Plötzlich fiel ihr etwas ein.
Computer war ein gutes Stichwort. In jedem modernen Büro fand man einen. Man konnte sich gar keinen Arbeitsplatz ohne dieses Gerät, ohne den charakteristischen Monitor in Sichtweite vorstellen.
Aber hier fehlte er!
Kein Wunder, dachte Mara. John besaß einen Laptop, den er auf seinen Geschäftsreisen stets dabeigehabt hatte. Auch auf seiner letzten Reise nach Berlin. Er war also bei seinem Tod ebenfalls dabei gewesen und in Flammen aufgegangen.
Wenn es bestimmte Informationen gab, hatten sie sich vermutlich eher auf der Festplatte des Computers befunden. Und nicht hier.
Sie öffnete die Fächer eines Schubladencontainers, der auf der rechten Seite unter der Schreibfläche stand. Sie fand Material: Briefpapier, eine Schere, Büroklammern, Klebeband, Briefumschläge in verschiedenen Größen. Datensticks. CD-ROM s.
Sie ging in die anderen Räume: eine Küche, ein Schlafzimmer, ein weiterer Raum, den John wohl als Esszimmer genutzt hatte. Insgesamt hatte das Apartment sicher an die zweihundert Quadratmeter. Aber nichts Persönliches lag herum, nirgendwo herrschte Unordnung.
War Johns Bruder schon hier gewesen und hatte für Tabula rasa
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