Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
auf der Schreibfläche um. Unter dem Computer steckte ein bunter Prospekt. Ein zusammengefaltetes Blatt, auf dessen Vorderseite vier gut aussehende Frauen zu sehen waren, die an Models erinnerten.
Mara hörte Gritti irgendwo in einem der Nebenräume reden. Offenbar regte er sich gerade über irgendetwas auf.
Sie zog das Papier weiter heraus. Und da wurde ihr klar, was das war: Es war ein Werbefolder für einen Escort-Service. Prostitution auf allerhöchstem Niveau. Jetzt erkannte sie sogar, dass Gritti etwas darauf gekritzelt hatte. Eine Uhrzeit. Neunzehn Uhr.
Hatte er sich eine der Frauen in die Suite bestellt? Oder woandershin?
Er redete immer noch. Mara ging aufs Ganze und klappte den Laptop auf. Sofort war die Website zu sehen, die Gritti zuletzt besucht hatte.
Dasselbe Motiv wie auf dem Prospekt. Derselbe Escort-Service. Und eine offene Bestätigungsmail. Mara überflog die Zeilen und musste unwillkürlich grinsen. Gritti hatte nicht nur eine, sondern drei Frauen angefordert. Auch die Uhrzeit stimmte. Vielleicht feierte er ja gleich eine ganze Party. Zusammen mit seinem Anwalt. Ach nein, der war ja angeblich schon in den USA .
Mara hörte Schritte. Gritti kam zurück.
Innerhalb von zwei Sekunden hatte sie den Computer zugeklappt und war zum Esstisch mit dem Geigenkasten zurückgekehrt. Das Blatt unter dem Laptop ragte noch etwas weiter heraus als vorher. Sie hatte es nicht geschafft, es zurückzuschieben.
Ruhe bewahren, sagte sie sich. Gritti wird es nicht auffallen.
»Also, was ich sagen wollte …«, fing er an, als er den Raum betrat.
Mara bemühte sich, unschuldig auszusehen, und sagte: »Ja?«
»Zu dieser Geige gibt es doch einen Bogen, oder nicht? Was ist denn damit?«
Sie hob die Schultern. »Der Bogen gehört mir. Es steht alles in der Vereinbarung. Wo haben Sie sie?«
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, sie zu holen«, sagte er. »Lass die Geige hier, ich schicke sie dir zu. Schreib mir deine Adresse auf.«
Dafür hatte Mara nicht mal ein müdes Lächeln übrig. Sie ging zum Tisch, verschloss den Kasten sorgfältig und nahm ihn an sich.
»Wiedersehen«, sagte sie und ging in Richtung Ausgang.
»Moment mal …«
Sie erreichte die Tür. Daneben befand sich ein langes Sideboard. Gritti hatte hier einige Dinge abgelegt. Ein Handy. Eine schwarze Ledermappe. An einem Haken hing ein Mantel. In der Ecke stand ein Koffer. Und darauf lag der Schlüsselbund.
Maras Herz schlug schneller. Ob sie riskieren konnte, ihn einfach mitzunehmen? Doch Gritti behielt sie im Auge.
»Und wenn ich dir die Bestätigung jetzt schreibe?«
Sie drehte sich um. »Das geht natürlich in Ordnung.«
Er würde sich an den Sekretär setzen und ein Schriftstück formulieren. Er würde Zeit brauchen. Zeit, in der sie die Schlüssel mitnehmen konnte. Wenn sie Glück hatte, bemerkte er den Verlust nicht sofort. Vielleicht sogar erst zu einem Zeitpunkt, an dem sie die Wohnung schon durchsucht hatte …
»Komm, wir gehen rüber an den Tisch.«
Er schob sie aus dem Eingangsbereich zurück in den großen Raum, ging zu dem Sekretär, öffnete eine Schublade und entnahm ihr einen gelblich weißen Schreibblock.
»Das ist das Briefpapier des Hotels«, sagte Mara.
»Na und? Die Bestätigung ist trotzdem gültig.«
Er griff in sein Sakko, holte einen Kugelschreiber hervor und schrieb ein paar Zeilen. Dann setzte er schwungvoll seine Unterschrift darunter und hielt Mara das Blatt hin.
»Zufrieden?«
Hiermit bestätige ich, Alfred Gritti, die Übergabe einer Violine von Mara Thorn. Es handelt sich um die Violine, die mein Bruder, John S. Gritti, Mara vor seinem Tod zur Verfügung gestellt hat.
Darunter stand das Datum.
»Alles klar«, sagte Mara. »Ich muss jetzt gehen.«
»Du bist ein ehrliches Mädchen«, sagte er, und das meinte er ganz sicher so.
»Kann sein.« Sie faltete das Blatt und steckte es in die äußere Tasche ihres Rucksacks.
»Was willst du jetzt machen?«
»Ich wohne erst mal bei einer Freundin. Dabei überlege ich mir was.«
»Und wo wohnt sie, diese Freundin?«
»Hier in Köln.«
»Dann alles Gute.« Er hielt ihr die Hand hin. Als wenn zwischen ihnen wirklich alles in Ordnung wäre.
»Danke, ich finde alleine raus.«
Sie wandte sich um und eilte in den Flur. Als sie vor der Wohnungstür stand, drehte sie sich um. Gritti war ihr nicht gefolgt. Mit einer schnellen Bewegung nahm sie den Schlüsselbund, öffnete die Tür, wartete gar nicht auf den Aufzug, sondern lief die Treppe hinunter.
Als sie an
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