Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
wäre, wenn man sie hier einfach stehen ließe. »Und das ist mir ja gelungen …«
Mara traf ein besorgter Blick. »Gut, ich nehme Sie mit. Gehen Sie aber besser ins Krankenhaus oder zu einem Arzt.«
»Ja, auf jeden Fall. Es war ja auch meine Schuld«, fügte Mara hinzu.
Die Fahrerin sah sie an, als ob sie noch etwas sagen wollte, dann kehrte sie jedoch zurück auf ihren Platz. Mara folgte ihr einfach. Hinten im Bus saßen ein paar Halbwüchsige mit Sporttaschen.
»Superstunt«, sagte einer, und alle lachten.
Mara bemühte sich immer noch zu lächeln. Sie setzte sich weit nach vorn. Die Fahrerin schloss die Tür.
»Wollen Sie keine Fahrkarte ziehen?«, fragte sie und drehte sich zu Mara um.
Mara stand auf, kramte in ihrer Jeanstasche nach Kleingeld, fand zum Glück welches und bediente den Automaten, der in der Busmitte hing. Sie hatte keine Ahnung, wo die Linie hinführte, sie wusste ja noch nicht mal, wo sie war. Sie musterte den schematischen Plan, der auf dem Gerät angebracht war. Die nächstgrößere Stadt hieß Bergisch Gladbach. Sie lag östlich von Köln. Dort würde sie hinfahren.
»Da will noch einer mit«, rief einer der Halbwüchsigen auf dem hinteren Sitz. Mara konnte erkennen, dass Quint es den Hang hinuntergeschafft hatte und auf den Bus zulief.
»Der soll auf den nächsten warten«, sagte die Fahrerin. »Ich darf nur an den offiziellen Haltestellen anhalten.«
Hinter den Scheiben des Linienbusses wich der Wald Industriegebäuden, Supermärkten und Autohäusern. Immer öfter hielten sie an einer Ampel. Schließlich holte die Fahrerin weit aus und lenkte das Fahrzeug in einer großen Bewegung neben einen Bahnsteig unter einem lang gestreckten hohen Glasdach, wo ein roter Zug wartete. Eine S-Bahn.
Mara stieg aus und gelangte in eine Fußgängerzone. Sie sah Handyläden mit den charakteristischen Logos, eine Apotheke, eine hell erleuchtete Bäckerei mit Stehcafé, Ableger von Bekleidungsläden, die kastenförmige Filiale einer Buchhandelskette.
Mara zog sich neben den Eingang einer Eisdiele zurück, in der jetzt, im Winter, Ein-Euro-Waren verkauft wurden. Der Verkäufer, der einen lila Turban trug, stand hinter der Theke, über die im Sommer die Eistüten wanderten, und beobachtete sie misstrauisch, als sie ihr Geld herauszog, um Kassensturz zu machen.
Ihren Rucksack hatte sie im Wald lassen müssen. Sie besaß ihr Handy nicht mehr. Auch Deborahs Kreditkarte war weg.
Sie zählte ihr Geld und kam noch auf fünfunddreißig Euro in Scheinen und ein paar Münzen.
Sie reihte sich in den Strom der Passanten ein. Immer wieder bemerkte sie, dass man sie abschätzig musterte. Schließlich kam sie an einem Geschäft vorbei, dessen Fassade zum Teil aus Spiegeln bestand.
Als sie sich selbst sah, erschrak sie. Ihre Hose war dreckig. Auch ihre Jacke hatte einiges abbekommen, und ihr Gesicht zierte eine längliche Schürfwunde an der rechten Wange.
Mara ging weiter bis zu einem großen Platz, wo sie eine öffentliche Toilette fand. Hier wusch sie sich das Blut ab, das aus ihrer Wunde gesickert war und einen dunklen Fleck hinterlassen hatte. Jetzt sah es schon gar nicht mehr so schlimm aus. Gegen den Dreck auf ihren Kleidern knüllte sie Toilettenpapier und wischte so lange herum, bis sich der Schmutz mit der Farbe ihrer Hose und ihrer Jacke so sehr verbunden hatte, dass er kaum noch zu sehen war.
Anschließend stapfte sie weiter die Straße entlang. Als die Fußgängerzone an einer Kirche und einem kleinen Park plötzlich zu Ende war, fragte sie ein paar Jugendliche, die auf einer Bank herumlungerten, nach einem Internetcafé.
Zwei von ihnen runzelten die Stirn. Sie hatten allesamt Smartphones in der Hand und waren auf so etwas nicht angewiesen. Aber einer wusste Bescheid: »Am Bahnhof. Gleich gegenüber dem Abschnitt, wo die Busse halten.«
Sie musste also zurück. Und während sie ging, versuchte sie, sich Orpheus’ Mailadresse ins Gedächtnis zu rufen.
Sie fand den Laden, und als sie schließlich vor dem Gerät saß und sich in ihren Freemail-Account eingeloggt hatte, wurde ihr klar, dass sie die Adresse gar nicht brauchte.
Orpheus hatte ihr geschrieben.
Ist alles gut verlaufen? Hast Du die Informationen bekommen, die Du brauchst?
Mara schrieb zurück.
Bin in einem Internetcafé. Würde gerne ausführlich berichten. Mailen Sie mir den Link in den Chatroom.
Sicher war es besser, nicht alles in aller Ausführlichkeit zu schildern. Das konnte sie noch tun, wenn sie mit Orpheus im Chat war.
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