Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
war in der Hand eines Mörders. Sicher hatte er einen genauen Plan, was er nach der Tat mit der Leiche vorhatte. Irgendwann würde man sie finden, vielleicht erst nach Wochen oder Monaten. Niemand würde je auf die Idee kommen, dass die Anwältin Deborah Fleur dahintersteckte. Denn es gab ja keinen Beweis, noch nicht mal einen Verdacht oder ein Motiv.
Sie hatten nach anfänglichem Geholper nun wohl eine Hauptstrecke erreicht und fuhren ruhig dahin.
Autobahn, tippte Mara. Oder eine Landstraße.
Nach und nach verlor sie das Zeitgefühl. Der Wagen bremste ab, ging in eine kleine Kurve und blieb stehen.
Der Motor erstarb. Das Brummen hallte noch eine Weile in Maras Innerem nach, dann legte sich Totenstille über sie.
Der Mann da vorn schien keine Anstalten zu machen auszusteigen. Was tat er? Wartete er auf jemanden? Dachte er nach?
Und dieser Moment der Leere, des Vakuums, der scheinbaren Zeitlosigkeit riss Mara endgültig aus ihrer Lethargie.
Sie musste sich wehren. Noch lebte sie. Erst wenn sie sich aufgab, war sie wirklich verloren.
Seltsam, aber plötzlich war das Bild ihrer Violine durch ihren Kopf geschossen, gleichzeitig waren ihr ein paar Wörter aus den Nachrichten dieses mysteriösen Orpheus nachgeklungen.
Deine Geschichte. Deine Vergangenheit. Dein Geheimnis.
Gib nicht auf.
Pass auf die Violine auf .
Was in ihrer Situation hieß: Erobere die Violine zurück! Plötzlich rasten ihre Gedanken. Sie holte nach, was sie die ganze Zeit auf der Fahrt nicht zustande gebracht hatte. Es konnte doch nicht so schwer sein, diesen Killer abzulenken. Er war ein Mann. Sie war eine junge Frau.
Vielleicht hatte dieser Halt ja sogar damit zu tun. Vielleicht hatte er sich gedacht, es sei leicht, über die Kleine herzufallen – wo sie ja ohnehin ihrem Tod entgegensah?
Und wenn das nicht so war, musste es doch möglich sein, ihn dazu zu bringen, es zumindest zu wollen. Die Kerle waren doch alle gleich.
Eine zuschlagende Tür. Schritte. Ein Schleifen, als der Mann die Seitentür öffnete. Wieder entstand eine kurze Pause, und Mara stellte sich vor, dass er sie jetzt betrachtete. Ein leichtes Opfer.
Der Wagen schwankte, als der Mann den Frachtraum betrat.
Wieder ein schleifendes Geräusch. Ein Knall. Mara konnte nichts sehen, aber einen vagen Eindruck von den Lichtverhältnissen hatte sie doch. Es war plötzlich dunkler geworden. Die Tür war also verschlossen.
Was würde der Mann jetzt tun?
Über sie herfallen, ohne ihr eine Chance zu geben, sich zu wehren?
Maras Herz begann wild zu pumpen. Sie spürte, wie sich der Mann ihr näherte, und wie von selbst wand sich ihr Körper wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Bleib ruhig«, raunte der Mann. »Du bringst ja das ganze Auto zum Wackeln.«
Jetzt spürte sie seine Hände auf ihren Beinen. Sie zuckte zurück, doch er griff fester zu, wanderte mit den Fingern über ihren Rücken. Dann gab es einen Ruck, die Wagentür ging wieder auf, und Mara wurde an den Fußgelenken gepackt und nach draußen gezogen.
»Steh auf!«
Sie schwankte. Der Mann hielt sie fest, und endlich fand sie das Gleichgewicht. Kalte Luft schlug ihr entgegen.
»Los, geh!«
Nein, keine Chance, auf diesen Mann einzuwirken, dachte sie. Der mochte ticken wie alle Männer, aber er erledigte seinen Job. Und das machte er perfekt.
»Du sollst gehen, habe ich gesagt.«
Mara spürte weichen Boden unter den Schuhsohlen. Ab und zu krachte es. Wahrscheinlich ging sie über trockenes Holz. Sie mussten im Wald sein.
Es war still um sie her. Kein Autolärm erreichte sie. Nur der leichte Wind fing sich unter dem Sack, den man ihr über den Kopf gestülpt hatte. Bei jedem Schritt hörte sie das Schaben des Stoffs.
Sie ging und ging und hatte das Gefühl, in einem leeren Raum unterwegs zu sein. War der Mann noch hinter ihr? Oder hatte er sie vorangehen lassen?
Jeden Moment konnte sie von dem tödlichen Schuss getroffen werden. Die Erkenntnis löste einen Hitzeschwall aus. Etwas rann ihre Schläfen herunter: Schweiß.
»Bleib stehen!«
Die Stimme war ein Stück entfernt. Jetzt war es so weit.
»Dreh dich um!«
Szenen aus Filmen kamen Mara in den Sinn. Szenen von ähnlichen Situationen. Killer, die Menschen töteten. Die Menschen hinrichteten. Irgendwo in einem abgelegenen Steinbruch. Oder im Wald.
So wie hier.
Sie holte tief Luft, sodass sich der Stoff vor ihrem Mund etwas einbuchtete. Staub drang ihr in die Lunge, und sie musste husten.
»Steh still!«, rief der Mann. »Gleich ist es vorbei.«
Er
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