Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
wieder«, sagte er.
Schlagartig fiel das Gefühl der Machtlosigkeit in sich zusammen.
»Wirklich? Wo ist sie?«
»Sie steht auf der Fluggastliste eines Linienflugs.«
»Und wohin fliegt sie?«
»Nach Wien. In einer Viertelstunde hebt sie ab.«
Mara bestieg die rote S-Bahn, gelangte innerhalb von zwanzig Minuten an den Kölner Hauptbahnhof und fuhr mit dem Bus zum Flughafen.
Als sie sich dem Schalter von Austrian Airlines näherte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Vielleicht hatten Deborah und ihr Helfer herausbekommen, dass ihr Name in den Tiefen der Datenbanken der Fluggesellschaft gespeichert war? Wie sie das einschätzte, besaß Quint die Fähigkeit, sich in fremde Server zu hacken.
Sie sah sich mehrmals um, bevor sie auf den Schalter zuschritt. Niemand schien sie zu beachten. Niemand folgte ihr.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Die uniformierte blonde Frau hinter dem Tresen war kaum älter als Mara, wirkte in ihrer Kluft jedoch streng wie eine Gouvernante. Wenn man sich nur auf das Gesicht konzentrierte, war darin eine junge Frau zu entdecken, dem die Kleidung und das reglementierte Verhalten eine Art Schutz zu bieten schienen.
»Mara Thorn. Für mich wurde ein Ticket hinterlegt.«
Die Frau holte einen Stapel Schriftstücke auf ihrer Seite unter dem Tresen hervor. Konzentriert blätterte sie sie durch, zog etwas heraus und legte es vor Mara hin.
»Zusätzlich liegt hier noch dieser Umschlag für Sie.«
Es war ein Kuvert, das neben dem schmalen Heftchen mit den Flugscheinen lag.
»Wohin geht der Flug?«, fragte Mara.
»Wissen Sie es nicht?«
»Ob Sie es glauben oder nicht«, sagte Mara. »Jemand will mich überraschen, verstehen Sie?«
Wie auf Knopfdruck sprang das Lächeln an. »Es geht nach Wien.« Sie deutete in Richtung des nächsten Kontrollzugangs links neben Mara. »Dort drüben können Sie einchecken. Ich wünsche Ihnen viel Spaß. Wien ist eine sehr romantische Stadt.«
Mara nahm die Papiere und das Kuvert. Sie orientierte sich auf der großen Tafel über dem Eingang, wann ihr Flug ging. Das Boarding begann in einer knappen Stunde. Zeit genug, sich hinzusetzen. Und den Umschlag zu öffnen.
Es war nur eine kurze Nachricht – mit dem Computer geschrieben und wahrscheinlich via Mail der Fluggesellschaft übermittelt.
19 Uhr. Haus der Musik. Neujahrskonzert.
Keine Unterschrift. Nur diese Worte. Mara faltete das Papier zusammen und steckte es ein. Und dann fühlte sie sich wieder wie in der Fußgängerzone, in der sie nach der Busfahrt gelandet war. Die Minuten bis zum Boarding tropften träge dahin.
Als es endlich so weit war, saß Mara auf ihrem Platz im Flugzeug und blickte auf das Rollfeld hinaus.
Sie wusste nicht, was das Haus der Musik war. Eine Hochschule? Ein Konzertsaal?
Das Neujahrskonzert kannte sie. Jedes Jahr am ersten Januar wurde es aus Wien in alle Welt übertragen. Ihre sogenannten Eltern hatten es sich immer angesehen und Mara mit derselben Regelmäßigkeit aufgefordert, es ihnen gleichzutun.
Aber sie hasste diese langweiligen Walzer, sie hasste den Blick in den getäfelten, mit spießigem Blumenschmuck aufgepeppten Saal, sie hasste die Musiker, die in steifen Anzügen dasaßen und diese langweilige Musik spielten, die für Mara nach Altersheim roch. Nach Gestrigkeit und Spießertum.
»Ich verstehe dich nicht«, hatte ihr sogenannter Vater gesagt, als sie mal wieder abgelehnt hatte, sich mit den sogenannten Eltern am Vormittag des ersten Januar vor den Fernseher zu setzen. »Da kannst du mal Leute sehen, die richtig begabt sind und großartig Violine spielen, und du hast keine Lust dazu? Hast du nicht gesagt, dass du Musikerin werden willst?«
Mara war einfach weggegangen, hatte die beiden mit ihren miefigen Möbeln alleine gelassen. Hatte sich herumgetrieben, war später auf ihr Zimmer geschlichen und hatte ihre eigene Musik gehört. Hatte Geige gespielt – hatte versucht, zu Musik von CD s Geige zu spielen, bis ihr sogenannter Vater sich das verbat. Es sei schließlich Feiertag, und wenn sie schon nicht das Neujahrskonzert hören wollte, eines der berühmtesten und großartigsten Konzerte der Welt, dann habe sie ihn und die Nachbarn auch nicht mit diesem Lärm zu quälen.
Nun saß sie im Flugzeug, und es versetzte ihr einen Stich, dass dieses Treffen mit Orpheus offensichtlich etwas mit diesem Neujahrskonzert zu tun hatte …
Die Maschine ruckte an. Das Flugfeld hinter der Scheibe mit der trostlosen Heidelandschaft dahinter begann zu wandern. Dann löste sich der
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