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Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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seinem Tross die Königin und der knapp dreijährige Thronfolger. »Sie krochen bald auf Händen und Füßen vorwärts, bald stützten sie sich auf die Schultern ihrer Führer, manchmal auch, wenn ihr Fuß auf dem glatten Boden ausglitt, fielen sie hin und rutschten ein ganzes Stück hinunter«, beschrieb Lampert die ganz und gar nicht standesgemäße Anreise über den Pass am Mont Cenis.
    Doch der deutsche König konnte nicht auf bessere Bedingungen warten. Er musste Papst Gregor VII . treffen, unbedingt. Der Oberhirte sollte Heinrich von dem Kirchenbann lösen, den er ein Jahr zuvor über ihn verhängt hatte.
    Allerdings war auch der Papst auf Reisen. Gregor VII . zog von Rom in Richtung Augsburg. Dort erwarteten ihn die deutschen Fürsten zu einem Tribunal über Heinrich. Sie wollten mit Gregor über das weitere Schicksal des gebannten Königs beraten. Heinrichs Krone war in Gefahr.
    Wollte Heinrich König bleiben, musste er den Papst abfangen, bevor dieser sich mit den Widersachern im »Regnum Teutonicum« traf. So kam es – zumindest der Legende nach – im Januar 1077 auf der Burg Canossa, in der heutigen Region Emilia-Romagna, zu einer höchst dramatischen Begegnung. Vor den Mauern der Festung flehte der römisch-deutsche König den Papst um Gnade an: Barfuß stand er im Schnee, nur im schlichten Wollgewand. Nach drei Tagen erst erbarmte sich der Religionsführer seiner und nahm Heinrich wieder in den Schoß der heiligen Mutter Kirche auf.
    Seither gilt Canossa als Begriff für die schlimmste Demütigung eines deutschen Souveräns. Wie kein anderes Sprachbild steht der Gang nach Canossa für tiefe Erniedrigung und große Reue.
    Populär wurde die Metapher aber erst 800 Jahre später im neu entstandenen deutschen Kaiserreich. Im sogenannten Kulturkampf zwischen dem protestantischen Herrscherhaus und dem Papst ließ sich mit jener »tiefsten und unwürdigsten Unterwerfung«, wie der Preußenkönig Friedrich II. formuliert hatte, gut Stimmung machen gegen die katholische Kirche. Kanzler Otto von Bismarck lag in heftigem Streit mit der katholischen Zentrumspartei im Reichstag. Um die liberale Mehrheit der Abgeordneten für sich zu mobilisieren, rief er ihnen am 14. Mai 1872 zu: »Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.«
    Den markigen Worten Bismarcks wurde in Bad Harzburg, wo König Heinrich einst eine Festung hatte, fünf Jahre später eine 19 Meter hohe »Canossa-Säule« gewidmet. Noch heute wirbt die Kurstadt mit dem Obelisken, in den der Ausspruch des Fürsten eingemeißelt ist. »Jene Tage von Canossa konnten niemals wieder vergessen werden«, beschrieb der Historiker Wilhelm von Giesebrecht die Wirkmächtigkeit des Mythos.
    Doch wie kam das Treffen in Canossa zustande? Was ist dort tatsächlich geschehen? War der angebliche Triumph des Papstes in Wirklichkeit ein heimlicher Erfolg des Königs? Wer die Hintergründe von Canossa erkunden will oder zumindest eine höchst interessante Variante des legendären Bußgangs, der sollte nach Heidelberg reisen. Im malerischen Zentrum der altehrwürdigen Universitätsstadt lebt inmitten unzähliger historischer Bücher Johannes Fried, 70. Der Professor mit dem silbergrauen Haar und dem gepflegten Bart lehrte an der Universität Frankfurt mittelalterliche Geschichte, als Canossa-Forscher ist er noch immer rege. Seine 2012 veröffentlichte »Streitschrift« über »Canossa – Entlarvung einer Legende« wird von seinen Kollegen heftig debattiert.
    Mit der Selbstsicherheit eines weithin anerkannten Mediävisten wettert Fried gegen das Klischee vom hilflosen König und dem übermächtigen Papst. In der Begegnung von Canossa sieht Fried »einen von beiden Seiten wohlvorbereiteten Pakt«, der einen sehr persönlichen Machtkampf beendete – zumindest vorübergehend.
    Den »falschen Mythos« von einem erniedrigten König führt Fried auf die Parteilichkeit der Zeitzeugen zurück. Vor allem Lampert von Hersfeld, Urquelle der Legende, sei ein Mann des Papstes gewesen und habe ein Interesse gehabt, den weltlichen Herrscher als erbärmliche Figur zu zeichnen. Deshalb beschreibe er den König bei der Alpenüberquerung als Getriebenen, der in seiner Not jede Tortur auf sich nimmt. Der Papst selbst schilderte den Monarchen in einem Bericht an die deutschen Fürsten und Bischöfe als Büßer »im jämmerlichen Aufzug«. Bittend und bettelnd, so Gregor, habe der König vor Canossa gestanden, ihn »unter vielen Tränen« um »Erbarmen«

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