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Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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seinen Leidensweg ging. Seit einem knappen Vierteljahrhundert besetzt durch ebendiese Seldschuken.
    Dass sich der Mann aus Byzanz nicht an den Gegenpapst Clemens III. gewandt hatte, den der römisch-deutsche Kaiser Heinrich IV . stützte, sondern an Urban, muss für diesen ein enormer diplomatischer Erfolg gewesen sein. Von Piacenza aus ritt er mit seiner Entourage gen Westen und durch Frankreich – um, wie er sagte, das »Denken und Fühlen« der Adligen und Ritter zu »stimulieren«. Hin auf ein Ziel: die Rückeroberung Jerusalems.
    Ein halbes Jahr lang dauerte diese Werbetour. Urban, die Tiara immer auf dem Kopf, zog durch Ortschaften, »in denen man seit Menschengedenken nie oder kaum jemals ein gekröntes Haupt zu Gesicht bekommen hatte«, schreibt der britische Kirchenhistoriker Jonathan Riley-Smith. Und Urbans Auftritte seien »überall bewusst theatralisch gehalten« worden: Er weihte beständig Altäre, Kirchen, Kathedralen. Stimmenfang heißt dies heute.
    Als Urban Clermont in der Auvergne erreichte, rief er wiederum ein »concilium generale« zusammen. Am letzten Tag, dem 27. November 1095, beraumte er eine öffentliche Sitzung an und ließ verkünden, er werde eine wichtige Rede halten. Vor den Toren der Stadt, weil es – wie schon in Piacenza – einen riesigen Zulauf Interessierter gab.
    Eloquent, rhetorisch geschickt, schilderte er die angebliche Unterdrückung und grausame Verfolgung der christlichen Brüder durch Muslime, die »Feinde Gottes«, wie sie hießen. Und beschwor die Menschenmenge, ganz im Sinne von Alexios, endlich gegen sie zu marschieren. »Nicht ich bin es, der euch ermutigt«, rief er angeblich aus, »es ist der Herr. Zu den Anwesenden spreche ich, den Anwesenden befehle ich, doch Christus herrscht«. Und Urban erinnerte an ein Bibelwort Jesu beim Evangelisten Matthäus (10,38): »Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.«
    Die Rede des Papstes sollte schon bald ungeheure Folgen haben, zumal da er andeutete, der Zug in die Levante könnte ein Akt der Buße für Sünden sein und in der Stunde des Todes würden sie gar erlöschen. Ewiges Leben also stand in Aussicht, und so fand Urban die Formel, Hunderttausende Menschen für eine Idee zu begeistern, die, so der Geschichtswissenschaftler Hans Eberhard Mayer, eine Mischung gewesen sei aus »Wallfahrt, Heidenkrieg und geistlichem Lohn«. Eine Idee, die »gleichmäßig alle Stände ergriffen« habe, auch das »niedere Volk«.
    »Deus lo vult!« – »Gott will es!«, riefen Urbans Zuhörer immer wieder. Jener Novembertag vor fast tausend Jahren riss eine Kluft auf zwischen Orient und Okzident, zwischen Islam und Christentum – vielleicht kann sie nie wieder geschlossen werden.
    Kreuzzüge waren Kriegszüge, eigentlich waren es eher Angriffskriege. Auch wenn sie, in verdächtig euphemistischer Verbrämung, einfach nur »Feldzug« hießen (lateinisch: expeditio) oder schlicht »Reise« (iter). Seit der Friedensbotschaft Jesu freilich galt Krieg als verwerflich. Ein überaus delikates Thema also, das radikal umgeschrieben werden musste; dabei half das Wort des Kirchenvaters Augustinus: »Krieg werde geführt, damit Friede einkehre«, hatte er gesagt, und der passende Begriff war gefunden: bellum iustum, »gerechter Krieg«.
    Ein Krieg für Gott, ein heiliger Krieg. Diese Theorie »und die damit verbundene Ausbildung eines christlichen Rittertums durch die Kirche und für die Kirche«, sagt Mayer, habe den »Boden aufgewühlt und vorbereitet« – und erst so einen »Kreuzzug überhaupt möglich« gemacht. Und dieser musste, der Durchschlagskraft wegen, von einer rechtmäßigen Autorität verkündet werden: dem Papst.
    Schon bevor Urban in Clermont agitierte, hatten Päpste keineswegs Bedenken oder Einwände gegen soldatische Gewalt, wenn es denn um die »Expansion lateinischen Christentums« ging, notiert Mayers Kollege Nikolas Jaspert. So kämpften sie bereits 1053 gegen die Normannen in Süditalien – und söhnten sich nur wenig später mit ihnen aus. Oder sie unterstützten die Vertreibung der Muslime aus Spanien, stets bereit, als Belobigung die Tilgung aller Sünden in Aussicht zu stellen.
    Gewiss, Spanien war eher unbedeutend im Vergleich zur biblischen Tradition des Heiligen Landes. Dessen Verteidigung gegen Muslime, oder besser: die Rückgewinnung der christlich-historischen Stätten, galt als ein Ziel, für das Menschen sich bereitfinden könnten, ihren Besitz zu opfern und

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