Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
angefleht. Überwältigt von der »inständigen Reue«, habe er ihn schließlich »von der Fessel des Bannfluchs« gelöst.
Richtig ist, dass beim Showdown auf der Burg, von der heute nur noch ein paar Mauern stehen, zwei höchst selbstbewusste Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Gregor VII ., geboren 1020 im italienischen Sovana, hatte sich hochgedient vom schlichten Mönch Hildebrand zum engen Berater von Papst Gregor VI . Ihm folgte er sogar in die Verbannung nach Köln.
Der ehrgeizige Erzdiakon musste noch etliche weitere Päpste politisch überleben, bevor er mit vermutlich 53 Jahren 1073 selbst zum Nachfolger des Apostels Petrus in Rom erhoben wurde. Schon da stand er im Ruf, die »Zuchtrute Gottes« zu sein, weil er so energisch gegen die Verlotterung der Kirche kämpfte. Manche von Gregors Vorgängern hatten es mit ihren Mätressen so toll getrieben, dass der italienische Kirchenhistoriker und Kardinal Cesare Baronio das Papsttum im frühen 10. Jahrhundert »Saeculum obscurum« nannte.
Mit seinen Forderungen nach Rückbesinnung wollte Gregor die Kirche zu neuem Ansehen führen und den eigenen Einfluss ausweiten. In persönlichen Notizen, den »Dictatus papae«, formulierte er seine Ziele: Verbot von Kauf oder Verkauf kirchlicher Ämter (Simonie), der Priesterehe und der Einsetzung geistlicher Würdenträger durch weltliche Herrscher (Laieninvestitur). An diesen Forderungen hielt er fest, sie gingen als gregorianische Reformen in die Geschichte ein.
Heinrich IV . aus dem Haus der Salier in Franken war nicht weniger machtbewusst. Sein Vater, den eigenen Tod wohl ahnend, ließ ihn 1053 schon als Dreijährigen in der Königspfalz in Tribur von den Fürsten zum König wählen. Doch bis zu Heinrichs Volljährigkeit 1065 führte dessen Mutter das Reich – und räumte Adel wie Bischöfen große Freiheiten ein. Als Heinrich mit 15 Jahren regierungsfähig wurde, wollte er zurück zu jener Machtfülle, mit der sein Vater regiert hatte. Dass er damit die Fürsten provozierte, nahm er in Kauf.
Dieser König ließ sich von niemandem etwas sagen, schon gar nicht von jenem neuen Papst Gregor VII ., der sich erdreistete, ihm die Besetzung der Kirchenämter zu verbieten. Doch Heinrich steckte in einem Dilemma: Einerseits wollte er das Kirchenoberhaupt nicht provozieren – der Papst sollte ihn ja noch zum Kaiser krönen. Andererseits mochte sich Heinrich das Recht auf die Investitur nicht nehmen lassen – das Reich war zu groß, um es ohne Bischöfe zu regieren, und die wollte er selbst bestimmen. Notfalls, kalkulierte der junge König, müsse Gregor weichen. Hatte sein Vater 1046 nicht sogar zwei Päpste abgesetzt?
Den Zeitpunkt zum Widerspruch wähnte Heinrich nach seinem Sieg über die aufbegehrenden Sachsen gekommen. Im Hochgefühl der eigenen Stärke griff der König am 24. Januar 1076 auf der Wormser Reichsversammlung den in Rom weilenden Papst an: Herausfordernd nannte er ihn »Hildebrand, den falschen Mönch«, der sich sein Amt erschlichen habe. Im Namen von 26 königstreuen Kirchenfürsten tönte er: »Ich, Heinrich, durch die Gnade Gottes König, sage dir zusammen mit allen meinen Bischöfen: Steige herab, steige herab.«
Doch Gregor, selbst ein unerbittlicher Kämpfer, konterte mit dem Kirchenbann. Bedrohlicher noch: Der Papst sprach alle Gefolgsleute Heinrichs von ihrem Treueid gegenüber dem König frei. Statt eines Aufstandes gegen Gregor verweigerten etliche Fürsten dem König die Gefolgschaft. Nun rächte sich, dass Heinrich, wie einst sein Vater, das Land herrisch und rücksichtslos führte.
Seine Gegner setzten den König im Oktober 1076 unter Druck. Auf einer Versammlung in Tribur, wo sie dem Kind-König einst die Treue geschworen hatten, forderten sie ihn auf, zu einem Tribunal zu erscheinen. »Binnen Jahr und Tag« solle in Anwesenheit des Papstes in Augsburg über Heinrichs Schicksal verhandelt werden. Gregor antwortete den Adligen: »Venio ad vos« (»Ich komme zu euch«).
In der weithin bekannten Version der Canossa-Saga begann nun der für Heinrich erbärmliche Teil: Wollte er in Augsburg nicht seine Krone verlieren, hatte er nur noch wenige Wochen Zeit, den Papst auf dessen Anreise abzufangen und um Gnade zu flehen. Für den Canossa-Forscher Fried aber war der König kein Jammerlappen, sondern ein stiller Diplomat. Denn Heinrich habe bereits vor dem Fürstentag aus eigener Initiative über Mittelsleute den Ausgleich gesucht. In Verhandlungen habe er Gregor zu einem »Colloquium«
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