Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
möglicherweise ihr Leben.
Schon Gregor VII ., der als Reformpapst in die Geschichte des Mittelalters einging, die »Zuchtrute Gottes«, wie er auch hieß, hegte ganz offenbar den Plan, gen Osten zu ziehen; viel ist darüber nicht bekannt. Aber der Zeitpunkt dieser Idee: das Jahr 1074. Dies ist schon deswegen von großem Interesse, weil eine bereits seit langem schwelende Auseinandersetzung zwischen geistlichem und weltlichem Herrscher ihrem Höhepunkt entgegenging: der Investiturstreit. Im Grunde lautete die einfache Frage, wer von beiden das Recht besäße, klerikale Spitzenleute wie Bischöfe oder Äbte in ihre Ämter zu berufen.
Tatsache ist, dass Gregor allein mit der Überlegung, einen solchen Feldzug ins Auge zu fassen, sich emanzipierte vom Kaiser, dem traditionellen Beschützer des Papsttums – und so auch auf diese Weise, wie es Mayer definiert, einen »Oberherrschaftsanspruch des Papstes« geltend zu machen suchte. Ein revolutionärer Akt schon deshalb, weil er zeigte, dass der Statthalter Christi unter allen Umständen politischer Taktgeber sein wollte.
Dem Papst kam auch zupass, dass mehrere europäische Herrscher gar nicht in der Lage waren, einem Aufruf zu folgen. Frankreichs König Philipp I. stand infolge einer Ehekrise unter Kirchenbann; Englands König Wilhelm II. Rufus stritt heftig mit dem Erzbischof von Canterbury, deshalb war er unabkömmlich. Und Heinrich, den Kaiser, hatte der Papst in Sachen Investitur exkommuniziert.
Als Gregors Nachfolger Urban dann in Clermont predigte, das Kreuz zu nehmen, schien die erste Reaktion, trotz der »Deus lo vult«-Schreie, noch einigermaßen zurückhaltend zu sein. Wohl deshalb, »weil sich unter der Zuhörerschaft nur wenige Laien von Bedeutung befanden«, mutmaßt Riley-Smith. Urban hatte zuvor seine Bischöfe angewiesen, die prominentesten Adligen ihrer Diözesen zum Konzil mitzubringen; doch offenbar war diese Botschaft nicht angekommen.
So musste der Papst weiter durch Frankreich ziehen – nach Limoges und Angers, Le Mans, Tours und Nîmes, Le Puy und Poitiers. Und erst nach diesem gewaltigen Propagandaakt war klar, dass sein Aufruf endlich den erhofften Widerhall fand – wahrscheinlich war er noch viel gewaltiger, als Urban und seine Strategen je zu hoffen wagten.
Plötzlich hatte die Menschen ein regelrechter Taumel erfasst, auch deshalb, weil die Kirche vielen Hoffnung machte, sie könnten ihr armseliges Leben hinter sich lassen. Die Aussicht auf Beute, auf Reichtum war riesengroß, und als im Sommer 1096 der erste Kreuzzug startete, bestand die Armee Richtung Morgenland aus wohl 50000 Männern, vor allem Franzosen, Lothringern und Normannen. Drei Jahre später, am 15. Juli 1099, eroberten sie Jerusalem, nach einem gewaltigen Blutbad. »Ein solches Töten«, schilderte es ein Augenzeuge, »hat noch niemand bislang gehört oder gesehen.« Danach, heißt es, seien die »Unsrigen« gezogen zum »Grab unseres Erlösers« – »glücklich und vor Freude weinend«.
Solch zeitgenössische Jubeltöne ließen eines vergessen: die Opferquote unter den Kreuzfahrern selbst. Riley-Smith schätzt, dass bei diesem ersten Kreuzzug etwa 35 Prozent von ihnen auf dem Marsch starben oder vor Ort; andere Beobachter gehen von bis zu 75 Prozent aus. Dennoch gelang es mit dem verbliebenen Personal, vier sogenannte Kreuzfahrerstaaten zu gründen, drei längs der Mittelmeerküste und strategisch günstig gelegen, weil die Versorgung über See einfacher war als über Land.
Schnell konnte auch eine Art Wachtruppe auf die Beine gestellt werden: die Templer, der erste geistliche Ritterorden überhaupt. Tollkühne Männer waren das meistens, diszipliniert, oft aber auch arrogant und, wie könnte es anders gewesen sein, durch die Bulle »Omne datum optimum« unmittelbar dem Papst unterstellt.
Allerdings, selbst eine ständige Verteidigungsbereitschaft konnte nicht verhindern, dass die Seldschuken zu Weihnachten 1144 nach wochenlanger Belagerung die Hauptstadt eines dieser Staaten, Edessa, eroberten und die Bewohner vertrieben. Ein Schock für Europa und ein Schock für den Papst.
Umgehend rief Eugen III. zu einem neuen Kreuzzug auf, und der wortgewaltige Abt Bernhard von Clairvaux sollte diesmal das Feuer entfachen. Zwar gelang es ihm, den deutschen König Konrad III. und dessen französischen Kollegen Ludwig VII . ins Boot zu holen, anders als bei Urban sei jedoch der »Widerhall eher bescheiden« gewesen, analysiert der Saarbrücker Mediävist Peter Thorau.
Wohl war
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