Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Kompromisskandidaten: Bertrand de Got. Der Erzbischof von Bordeaux befand sich bei seiner Wahl in Frankreich, und dorthin ließ er auch die Kardinäle kommen, die ihn als Papst Clemens V. krönten. Einmal gewählt, nahm der vermeintlich neutrale Clemens die Bulle »Unam Sanctam« zurück. Auch in seiner Personalpolitik erwies er sich als parteiisch: Neun der zehn von ihm ernannten Kardinäle waren Franzosen.
Willfährig gegenüber Philipp dem Schönen, mit dem er persönlich befreundet war, zeigte sich Clemens auch bei dessen Auseinandersetzung mit dem Templerorden. Unter dem Vorwand, die Mönchsritter betrieben Häresie und Blasphemie, ließ der König sie verhaften – tatsächlich wollte er auch die gewaltigen Schulden loswerden, mit denen er bei dem Orden in der Kreide stand. Clemens berief schließlich ein Konzil nach Vienne ein, das die Anschuldigungen Philipps klären sollte. Obwohl das Konzil die Vorwürfe für nicht erwiesen erachtete, löste Clemens den Orden auf.
Unermüdlich reiste Clemens durch Frankreich, um zwischen König Philipp und englischen Gesandten zu vermitteln. Es drohte Krieg, denn England hatte Ansprüche auf Gebiete in Westfrankreich erhoben. Die Vermittlerrolle hatte für Philipp den angenehmen Nebeneffekt, dass der Papst in Frankreich blieb.
Clemens ließ sich im Venaissin nieder, einer kleinen Grafschaft bei Avignon, die seit 1274 zum Kirchenstaat gehörte. Seit 1309 verbrachte der Papst die Sommer dort auf dem Land, die Winter in einer Dominikanerabtei in der Stadt selbst. Zwar hatte Clemens den Aufenthalt in Avignon stets als Provisorium betrachtet; mehrfach wohl erwog er einen Umzug nach Rom. Aber am 20. April 1314 starb er, ohne je seinen Fuß auf römischen Boden gesetzt zu haben.
Sein Nachfolger Johannes XXII . war es, der Avignon zum dauerhaften Sitz des Heiligen Stuhls machte. Er war dort Bischof gewesen und bezog nun wieder seinen alten Palast. Obwohl Johannes erst mit gut 70 Jahren den Thron bestieg, blieb er 18 Jahre Papst, länger als jeder seiner Nachfolger an der Rhône. Unter ihm begann die Zentralisierung der kirchlichen Finanzverwaltung: Pfründen vergab der Papst zunehmend selbst, nur noch selten wurde ein Bischof oder Abt von den Fürsten und Klerikern an seinem Amtssitz gewählt. Dafür kassierte die Kurie sämtliche Einnahmen des ersten Amtsjahres, die sogenannten Annaten.
Die Stadt an der Rhône entwickelte sich zu einer kleinen Metropole. Ihre Bevölkerung versechsfachte sich bis zur großen Pest von 1348 auf 35000 Einwohner. Der Handel blühte auf, denn die Kurie mit ihrem Gefolge an Beamten und Dienern wollte verpflegt werden: Fuhrwerke brachten Pfeffer und Safran aus dem Orient, Wein aus dem Burgund, Kerzen und sogar Papier.
Kuriere der italienischen Handelshäuser schafften Truhen voller Gulden nach Avignon, denn die kirchlichen Steuereinnahmen stiegen rasch an. Johannes’ Nachfolger Benedikt XII . ließ einen gewaltigen Palast bauen, dessen zinnenbewehrte Mauern Angreifer abschrecken sollten, während innen die Pracht eines Schlosses herrschte. Die Kurie war in Avignon sesshaft geworden.
Obwohl die Stadt nicht auf französischem Terrain lag, sondern zum Königreich Neapel gehörte, war der Einfluss der Pariser Könige unübersehbar. 1342 wählten die Kardinäle – fast alle Franzosen – Clemens VI . zum Papst, der zuvor als Kanzler dem französischen König Philipp VI . gedient hatte. 1348 kaufte er Avignon von Johanna von Neapel.
Aus Paris brachte Clemens seinen Hang zum Luxus mit: »Unsere Vorgänger haben es nicht verstanden, Papst zu sein.« Bei opulenten Festmählern saß er an einem erhöhten, mit Gold und Silber gedeckten Tisch. Ein Florentiner Kaufmann beschreibt »eine riesige Burg aus Wildbret: einen enormen Hirschen«, der noch zu leben schien, obwohl er gekocht war, ein Wildschwein, Ziegen, Hasen; sie wirkten »lebendig«. Auch einen Springbrunnen, aus dem fünf Sorten Wein sprudelten, erwähnt der Reisende.
Der Prunk rief Kritik hervor. So sah der italienische Dichter Francesco Petrarca »anstelle heiliger Einsamkeit verbrecherische Betriebsamkeit, überdies statt Nüchternheit und Fasten nur üppige Gastmähler«; er nannte Avignon das »abendländische Babylon« und einen »Auswurf aller Frevel und Schandtaten«. Freilich propagierte der Patriot schon aus Nationalbewusstsein eine Rückkehr des Papstes nach Rom.
Aber auch andere Gründe sprachen dafür. Die Gräber der Apostel Petrus und Paulus befanden sich in Rom. Im »Heiligen
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