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Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Pötzl
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Opfercharakter der Messe hin zur Communio, zur Gemeinschaft und damit letztlich auch zur Kommunikation. Der Schriftsteller Martin Mosebach erinnert sich, wie sehr es seine Mutter entsetzte, den Priester am Altar »wie hinter einer Theke« zu sehen, wie er ihr »mit froh geöffnetem Mund ins Gesicht sang« und sie daraufhin beschloss: Da gehe ich nicht mehr hin.
    Der weihrauchumwölkte Priester im goldfarbenen Ornat, der mit dem Rücken zum Volk lateinische Gebete murmelt, bis die Gläubigen auf Knien die heilige Kommunion auf die Zunge gelegt bekommen – das war »die Messe aller Zeiten«, wie sie ein anderes Konzil, das von Trient (1545–1563), festgelegt hatte. Und das sollte plötzlich vorbei sein?
    Sehr viele Gläubige waren zu diesem Schritt nicht bereit, sind es bis heute nicht. Der Konzilsvater Marcel Lefebvre verweigerte sich und gründete 1970 die keineswegs einflusslose Traditionalisten-Bewegung der »Priesterbruderschaft St. Pius X. «. Für diese Tridentiner war das Konzil die Kapitulation vor dem Zeitgeist und der Abfall von der wahren Tradition. Die Piusbrüder werden es auch sein, die Papst Benedikt XVI . Anfang 2009 in eine der Krisen seines Pontifikats bringen.
    Tatsächlich lässt sich sein Amt nur zusammen mit dem Vaticanum verstehen: Ratzinger hatte sich das Joch aufgelegt, als Papst die Wunde zu schließen, an deren Zustandekommen er als junger Theologe maßgeblich beteiligt war. Weil ihn die Spaltung quälte, bot Benedikt den Tridentinern die Rückkehr an, in einem »leisen Gestus der Barmherzigkeit«, und stellte sich damit gegen die Öffentlichkeit und gegen den Konzilsflügel unter den Bischöfen. Schon eineinhalb Jahre zuvor hatte der Papst den alten Ritus, die Tridentinische Messe, wieder freigegeben.
    Die Aufhebung der Exkommunikation ging gründlich schief, wie Benedikt in einem Brief selbst zugibt: »Aus einer Einladung zur Versöhnung mit einer sich abspaltenden kirchlichen Gruppe war auf diese Weise das Umgekehrte geworden: ein scheinbarer Rückweg hinter alle Schritte der Versöhnung von Christen und Juden, die seit dem Konzil gegangen wurden und die mitzugehen und weiterzubringen von Anfang an ein Ziel meiner theologischen Arbeit gewesen war.«
    Sogar ein konziliarer Dogmatiker wie Kardinal Kasper schreibt: »Mit dem Programm des Heutigwerdens (aggiornamento) geriet die Kirche in die Gefahr, vor lauter Offenheit ihre Eindeutigkeit zu verlieren; dort, wo sie aber eindeutig und klar zu reden versuchte, kam sie in Gefahr, an den Menschen und ihren Problemen vorbeizuagieren.«
    Das Vaticanum II endete am 7. Dezember 1965 mit einer Geste, die außerhalb Roms weitgehend mit Gähnen quittiert wurde, in der Weltkirche aber den Atem der Geschichte spüren ließ. Paul VI . und der Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras I. , heben gemeinsam die seit 1054 geltende wechselseitige Exkommunikation auf. Und nicht nur das, auch die »Erinnerung an den Bann« soll getilgt werden. Eine Familienfehde, die nach über 900 Jahren endet – das ist großes Kirchenkino.
    Das Vaticanum II war keine Propagandaveranstaltung. Man spürt in der Ernsthaftigkeit des Ringens ums »aggiornamento« noch die Erfahrung des Weltkriegs, die Menetekel Auschwitz, Gulag und Hiroshima.
    Es ist eine »konziliare Kirche« entstanden. Nicht als Realität, aber als Auftrag. »Freilich wird es lange dauern, bis die Kirche, der ein Zweites Vatikanisches Konzil von Gott geschenkt wurde, die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils sein wird«, sagte Karl Rahner in einem Vortrag nur vier Tage nach Beendigung des Konzils.
    Und ausgerechnet das Pontifikat des vormaligen Konzilsrebellen Joseph Ratzinger ist das beste Beispiel für einiges, was noch abzuarbeiten bliebe, ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn des Vaticanums. Die Ökumene ist ins künstliche Koma versetzt, die Rolle der Bischöfe marginal wie einst vor dem Konzil, die Perestroika in der Kurie ausgeblieben. Immer noch herrscht in Rom ein mittelalterlicher Hofstaat, wo Machtkämpfe auch unter Zuhilfenahme von Sensationsjournalisten und Kammerdienern ausgefochten werden. Ein Hofstaat, in dem manch einer immer noch dem Geist des Konzils nachjagt, um ihn der Kirche wieder auszutreiben.
    Papst Benedikt XVI . hatte gehofft, sein leckgeschlagenes »Schifflein Petri« durch klare Kommandos wieder auf Kurs zu bringen, und sei es mit verkleinerter Besatzung. Der allgemeinen Auflösung wollte er sich mit Besinnung aufs Eigentliche entgegenstemmen. Er hatte gehofft, den Glauben im

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