Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
dritten Jahrtausend durch die Vernunft neu zu beleben.
Aber es kam immer mehr Schmutz zum Vorschein, immer mehr Verständnislosigkeit schlug ihm entgegen, und nach einer langen Serie von Skandalen muss ihm klargeworden sein, dass dieses Amt über seine Kräfte geht.
Der Rücktritt Benedikts XVI . bedeute eine »Entmystifizierung des Papst-Amtes«, sagt der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki. Noch ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen die Abdankung haben wird. Doch sicher ist, dass jetzt in der katholischen Kirche manche Gewissheit zur Diskussion gestellt wird, die bisher so ehern war wie die Regel, wonach Papst eine Lebensstellung sei. Wenn das Petrusamt niedergelegt werden kann wie ein Bundestagsmandat, dann sollte es auch vorbei sein mit der Strenge in anderen Lehrfragen.
Nie zuvor in der Neuzeit hat ein Papst freiwillig auf dieses Amt verzichtet, für viele das bedeutendste auf Erden. Nie zuvor seit Gregor XII . und zwei Mitpäpsten hat es einen Pontifex als Ex gegeben, der als einfacher Bruder Joseph in den Vatikanischen Gärten herumspazieren wird. Nie zuvor hat die Entscheidung eines einzelnen Papstes die katholische Kirche von einem Tag auf den anderen so herausgefordert wie diese. Die Stunde null hat begonnen im Vatikan.
SOMMERSITZ AM SEE
Seit fast 400 Jahren ist Castel Gandolfo die Zweitresidenz des Papstes.
Von Johannes Saltzwedel
Den majestätisch schönen Blick vom Hügelrücken genossen schon die alten Römer: ostwärts über den idyllisch aus der Tiefe schimmernden Albaner See, westwärts bis zur Küste. In dieser Traumlage, erzählen alte Legenden, habe einst Ascanius, Sohn des römischen Stammvaters Aeneas, die Latinerstadt Alba Longa gegründet. Hier ließ sich später Kaiser Domitian ein Villen-Anwesen mit 14 Quadratkilometer Grundfläche bauen, dessen Überreste noch stellenweise zu erkennen sind.
Aber berühmt ist Castel Gandolfo, das sich erst seit 1994 von Amts wegen Stadt nennen darf, für einen architektonischen Komplex, von dem gewöhnliche Touristen nicht mehr zu sehen bekommen als eine dominante, schlichte Fensterfront mit Portal und Loggia zum Marktplatz hin: den Papstpalast. In dessen geräumigen Inneren geht es katholisch gediegen, doch nicht übermäßig prunkvoll zu. Urban VIII., der 1624 beschloss, hier auf päpstlichem Domänengrund einen Sommersitz zu errichten, erteilte zwar Carlo Maderno den Auftrag – immerhin demselben Baumeister, der auch die kolossale Säulenfassade der Peterskirche entworfen hatte. Aber übertriebene Show brauchte es in der Zurückgezogenheit eben nicht.
Und so ist der Ort mit seinen etwa 9000 Einwohnern bis heute geblieben, wozu er sich seit Urzeiten am besten zu eignen schien: ein Sommersitz fern der Hektik, mit plätscherndem Brünnlein, schlendernden Passanten und einer nicht übermäßig großen Kirche, die nur Spezialisten als edles Nebenwerk des großen Gian Lorenzo Bernini bekannt ist.
Der Tageslauf der Heiligen Väter hier entspricht weitgehend den Rhythmen im Vatikan, nur dringt aus der intimeren Umgebung noch weniger nach außen. Seit 1929 genießt das Areal extraterritorialen Status; inbegriffen sind dabei die Villa Cybo, die Papst Clemens XIV. 1773 dem Herzog von Modena abkaufte, sowie die angrenzende Villa Barberini, die sich der Neffe Urbans VIII. auf dem höchsten Punkt des Ortes hatte bauen lassen. Stattliche Verwaltungsräume im Palast und nebenan ein luxuriöser Barockgarten erlauben herrscherlich entspannte »Villeggiatura«, sommerliches Landleben, wie es italienische Aristokraten seit alters gewohnt waren.
Zuweilen können besonders eifrige Pilger beim Angelus-Gebet oder bei Audienzen einen Blick auf den Stellvertreter Christi erhaschen. Im Übrigen jedoch gibt es keine großen Auftritte. Und lädt ein Papst vertraute Gelehrte und Würdenträger hierher zur Diskussion ein – wovon zum Beispiel unlängst aus eigener angenehmer Erfahrung der katholische Philosoph Robert Spaemann berichtet hat –, dann geht es, wie alle wissen, nicht um Publicity. Ferienruhe, beschauliche Umgebung und klarer Himmel fördern das Nachdenken in höheren Sphären als denen der gewöhnlichen menschlichen Alltäglichkeit.
Nicht nur das Denken übrigens: Auf dem Hügelende nördlich vom Palast befindet sich das vatikanische Observatorium, dessen Astronomen lange fern vom Großstadt-Smog der Metropole die klare Luft der Albaner Berge für ihre Erkundungen nutzten. Seit 1935 hat die traditionsreiche Sternwarte des Vatikans ihren Hauptsitz auf Castel
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