Die Päpstin
irrte, würde der seinem Sohn eine fürchterliche Tracht Prügel
verabreichen. Vielleicht war es dem Burschen eine Lehre, vielleicht aber auch nicht. Doch wie es auch sein mochte – dem getöteten
Mädchen würde es nichts mehr nützen. Aber ihre Familie würde einen Teil des
wergelds
bekommen, und mit diesem Geld konnten diese halbfreien
coloni
sich die Freiheit erkaufen und für sich, ihre verbliebenen Kinder und ihre Kindeskinder ein besseres Leben aufbauen.
Gerold gab seinen Männern ein Zeichen, und sie schoben ihre Schwerter zurück in die Scheiden und nahmen wieder hinter dem
Richtertisch Aufstellung.
Frambert kroch unter dem Tisch hervor und setzte sich mit leicht angeknackster Würde auf seinen alten Platz. Sein Gesicht
war blaß, und seine Stimme schwankte, als er den letzten Fall zur Verhandlung rief. »Ermoin der Müller und seine Frau klagen
gegen ihre Tochter, sie habe vorsätzlich, wissentlich und gegen den ausdrücklichen Befehl der Eltern einen Sklaven zum Ehemann
genommen.«
Wieder teilte sich die Menge, um ein älteres Paar durchzulassen. Beide waren grauhaarig, in feinstes Leinen gekleidet, würdevoll
und vornehm – äußere Zeichen für Ermoins Erfolg in seinem Beruf. Ihnen folgte ein junger Mann, in die abgetragene, schmutzige
Tunika eines Sklaven gekleidet; zum Schluß kam eine junge Frau nach vorn, schüchtern und mit züchtig gesenktem Kopf.
»Edler Herr.« Ermoin, der Vater des Mädchens, wandte sich sofort an Gerold, ohne einen entsprechenden Aufruf abzuwarten. »Vor
Euch steht unsere Tochter Hildegard, die Freude unserer alternden Herzen, das einzige von unseren acht Kindern, |228| das überlebt hat. Wir haben sie anständig und rücksichtsvoll erzogen, Markgraf Gerold – zu rücksichtsvoll, wie wir zu unserem
Kummer erfahren mußten. Denn sie hat uns unsere liebevolle Zuneigung mit vorsätzlichem Ungehorsam und Undank vergolten.«
»Und welchen Urteilsspruch erwartet Ihr von diesem Gericht?« fragte Gerold.
»Liegt das nicht auf der Hand?« erwiderte Ermoin erstaunt. »Das Mädchen soll die Wahl treffen, was sonst? Die Spindel oder
das Schwert. Unsere Tochter muß sich für eins von beiden entscheiden, wie das Gesetz es erlaubt.«
Gerolds Miene wurde ernst. In seiner Laufbahn als
missus
hatte er bei einem solchen Verfahren einmal den Vorsitz geführt, und er hatte weiß Gott nicht den Wunsch, ein zweites mitzuerleben.
»Wie Ihr vollkommen zutreffend bemerkt, erlaubt das Gesetz eine solche Vorgehensweise. Aber ich finde sie sehr hart. Insbesondere,
wenn sie bei jemandem angewendet wird, der so liebevoll aufgezogen wurde, wie Ihr behauptet. Gibt es keine andere Möglichkeit?«
Ermoin wußte, worauf Gerold abzielte: Das sogenannte Manngeld konnte bezahlt werden, wodurch der junge Bursche aus der Sklaverei
ausgekauft und zum Freien gemacht wurde.
»Nein, edler Herr.« Ermoin schüttelte heftig den Kopf.
»Also gut«, sagte Gerold resigniert. Offensichtlich führte kein Weg an der Probe vorbei. Die Eltern des Mädchens kannten das
Gesetz und würden darauf beharren, diese widerliche Sache bis zu ihrem Abschluß durchzuführen.
»Schafft eine Spindel herbei«, befahl Gerold. »Warte, Hunric …« Er winkte einem seiner Männer. »Borg mir dein Schwert.« Er
wollte seine eigene Waffe nicht benutzen. Die Klinge hatte noch nie das Fleisch eines Wehrlosen zerschnitten, und so sollte
es auch bleiben, solange Gerold dieses Schwert trug.
Eine Zeitlang warteten sie. Die Menge tuschelte und murmelte erwartungsvoll. Schließlich wurde in einem Haus in der Nähe eine
Spindel entdeckt.
Das Mädchen hob den Kopf, als die Spindel in den Versammlungssaal gebracht und mitsamt einem Schemel aufgestellt wurde. Der
Vater redete mit scharfer Stimme auf das Mädchen ein, und es schlug rasch die Augen nieder. Doch in |229| diesem flüchtigen Moment hatte Gerold einen Blick auf ihr Gesicht werfen können. Es war wunderschön – große, karneolfarbene
Augen; eine Haut wie Milch und Honig; dunkle Brauen und ein schön geschwungener Mund. Zum erstenmal konnte Gerold den Zorn
ihrer Eltern verstehen: Ein so hübsches Mädchen hätte das Herz eines mächtigen Fürsten erobern und das Vermögen und Ansehen
ihrer Familie mehren können.
Gerold legte eine Hand auf die Spindel; mit der anderen hob er das Schwert. »Falls Hildegard das Schwert wählt«, sagte er
so laut, daß alle Versammelten es hören konnten, »dann wird ihr Gatte, der Sklave Romuald, durch
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