Die Päpstin
mehr wert
als ein erbärmliches Mädchen, dessen Mutter und ihr Webstock zusammen!«
Gerolds Gesicht war düster. Dieser Kuhhandel um das Blutgeld war abstoßend. Das Mädchen war ungefähr im gleichen Alter gewesen
wie Gerolds Tochter Dhuoda. Schon der bloße Gedanke, daß dieser schäbige, unsympathische junge Kerl sie beschlief, war grotesk.
Andererseits waren solche Dinge gang und gäbe – jede
colona
, die das Alter von vierzehn Jahren als Jungfrau erreichte, war ein Glückskind, oder häßlich oder beides. Gerold war nicht
naiv; er kannte den Lauf der Dinge. Aber das hieß noch längst nicht, daß er ihn gutheißen mußte.
Ein großer, ledergebundener Codex, auf dessen Einband das kaiserliche Siegel in Gold geprägt war, lag vor Gerold auf dem Tisch.
In diesem Folianten waren die uralten Gesetze des Kaiserreichs verzeichnet, die
Pactus Legis Salicae
ebenso wie die
Lex Salica Carolina
; letztere umfaßten die Änderungen und Zusätze des Gesetzbuches durch Kaiser Karl den Großen. Gerold kannte das Gesetz und
brauchte das Buch nicht. Dennoch nahm er es, schlug es mit großer Geste auf und tat so, als würde er darin lesen; diese symbolische
Handlung würde ihre Wirkung auf die prozeßführenden Parteien nicht verfehlen, zumal das Urteil, das Gerold fällen wollte,
all seine Autorität erfordern würde.
»Der salische Codex besagt klar und deutlich, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist«, erklärte er schließlich. »Einhundert
solidi
sind das angemessene
wergeld
für eine
colona
.«
Fulrad fluchte laut. Aelfric grinste.
|226| »Das Mädchen war zwölf Jahre alt«, fuhr Gerold fort, »und hatte somit das gebärfähige Alter erreicht. Dem Gesetz entsprechend,
muß das Blutgeld aus diesem Grunde auf dreihundert
solidi
in Gold erhöht werden.«
»Was?« rief Fulrad. »Hat das ehrenwerte Gericht den Verstand verloren?«
»Diese Summe«, fuhr Gerold unbeirrt fort, »soll wie folgt entrichtet werden: Zweihundert
solidi
gehen an Aelfric, und einhundert
solidi
an die Familie des Mädchens.«
Jetzt war es Aelfric, der zornig reagierte. »Hundert goldene
solidi
an ihre
Familie
?« sagte er fassungslos. »An
coloni
? Ich bin der Herr über den Grund und Boden und über alles Vieh und alle Menschen darauf. Von Rechts wegen gehört das
wergeld
für das Mädchen also mir!«
»Wollt Ihr mich ruinieren?« meldete sich nun wieder Fulrad zu Wort, der zu sehr in die eigenen Probleme vertieft war, als
daß er sich am Zorn seines Widersachers hätte erfreuen können. »Dreihundert
solidi
in Gold sind fast schon das Blutgeld für einen Krieger! Oder einen Priester!« Angriffslustig ging er auf den Tisch zu, an
dem Gerold saß. »Vielleicht sogar«, die Drohung in seiner Stimme war nicht zu überhören, »für einen Markgrafen?«
Ein kurzer Aufschrei des Entsetzens gellte durch den Versammlungssaal, als sich ein Dutzend von Fulrads Gefolgsleuten nach
vorn drängten. Sie waren mit Schwertern bewaffnet, und sie sahen wie Männer aus, die mit diesen Waffen auch umgehen konnten.
Gerolds Leute rückten nun ebenfalls vor, die Hände an den halb gezogenen Schwertern, um sich zum Kampf zu stellen. Doch mit
einer Handbewegung gebot Gerold ihnen, stehenzubleiben, und sprang auf.
»Im Namen des Kaisers«, rief er mit lauter Stimme, so stählern wie eine Schwertklinge, »ist das Urteil in dieser Sache gesprochen
und rechtskräftig!« Der Blick aus seinen tiefblauen Augen war so stechend, daß Fulrad den Kopf senkte.
»Rufe den nächsten Fall auf, Frambert«, sagte Gerold.
Frambert gab keine Antwort. Er war vom Stuhl geglitten und hatte sich unter dem Tisch versteckt.
Mehrere Sekunden verstrichen in angespanntem Schweigen. Die Menge verharrte in atemloser Stille.
Gerold nahm wieder auf dem Stuhl Platz. Er machte einen |227| selbstsicheren, gelassenen Eindruck, doch seine rechte Hand schwebte nervös über dem Schwertgriff – so dicht, daß seine Fingerspitzen
den kalten Stahl berührten.
Plötzlich, mit einem gemurmelten Fluch, machte Fulrad auf dem Absatz kehrt. Er packte Tenbert grob beim Arm und zerrte ihn
zur Tür. Fulrads Männer folgten ihrem Herrn, und die Menge wich vor ihnen auseinander. Als sie zur Tür hinaus waren, hämmerte
Fulrad dem Jungen mit aller Kraft die Faust an den Kopf. Tenberts Schmerzensschrei hallte durch den Versammlungssaal. Die
Spannung löste sich, und die Menge brach in rauhes Gelächter aus.
Gerold lächelte düster. Falls er sich nicht sehr in Fulbert
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