Die Päpstin
Löffel Suppe einzuflößen.«
Über eine Woche! War sie schon so lange hier? Sie konnte sich an nichts mehr erinnern … nur noch daran, wie sie in das kleine
Fischerboot geklettert war.
»Wo … wo bin ich?« fragte sie stockend.
»Auf dem Anwesen des Grafen Riculf, fünfzig Meilen stromab von Fulda. Wir haben Euch in einem Fischerboot gefunden, das sich
in einem Strauch am Ufer verfangen hatte. Ihr wart vom Fieber halb bewußtlos und habt wie eine Wilde um Euch geschlagen, als
wir Euch aus dem Boot herausheben wollten.«
|321| Johanna betastete die Schwellung an ihrem Kinn.
Der junge Mann grinste. »Tut mir leid. Als wir Euch fanden, wart Ihr keinen vernünftigen Argumenten zugänglich. Aber Ihr könnt
Euch mit dem Gedanken trösten, daß Ihr beinahe soviel ausgeteilt habt, wie Ihr einstecken mußtet.« Er zog den Ärmel hoch und
zeigte Johanna einen großen, häßlichen blauen Fleck an seinem rechten Oberarm.
»Ihr habt mir das Leben gerettet«, sagte Johanna leise. »Dafür möchte ich Euch danken.«
»Das war doch selbstverständlich. Ich bin froh, daß ich an Euch ein wenig von dem gutmachen konnte, das Ihr für mich und die
Meinen getan habt.«
»Müßte … müßte ich Euch kennen?« fragte Johanna verwundert.
Der junge Mann lächelte. »Ich nehme an, ich habe mich ziemlich verändert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Damals
war ich zwölf Jahre alt, ging auf die dreizehn zu. Moment mal …« Er zählte an den Fingern ab – die klassische Rechenmethode
des großen Beda Venerabilis. »Das war vor ungefähr sechs Jahren. Sechs Jahre mal dreihundertfünfundsechzig Tage … hm, das
macht … zweitausendeinhundertundneunzig Tage!«
Johannas Augen weiteten sich, als sie den jungen Mann wiedererkannte. »Arn!« rief sie und fand sich Augenblicke später in
seiner liebevollen, überschwenglichen Umarmung wieder.
An diesem Tag unterhielten sie sich nicht länger, denn Johanna war immer noch sehr schwach, und Arn ließ nicht zu, daß sie
sich weiter verausgabte. Nachdem Johanna ein paar Löffel Fleischbrühe zu sich genommen hatte, schlief sie sofort ein.
Als sie tags darauf erwachte, fühlte sie sich schon kräftiger. Das beste Zeichen aber war, daß sie einen Bärenhunger hatte.
Als sie gemeinsam mit Arn einen Teller Brot und Käse zum Frühstück aß, hörte sie ihm gespannt zu, als er ihr erzählte, was
alles geschehen war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
»Wie Ihr vorhergesagt hattet, war der Vater Abt so zufrieden mit unserem Käse, daß er uns zu
prebendarii
ernannte und uns versprach, daß wir ein gutes Auskommen hätten, wenn wir dem Kloster jedes Jahr hundert Pfund Käse lieferten.
Aber das wißt Ihr ja selbst.«
|322| Johanna nickte. Der außergewöhnliche, blaugeäderte Käse, der so abstoßend aussah und so wunderbar schmeckte, war zu einem
festen Bestandteil der Mahlzeiten im Refektorium des Klosters Fulda geworden. Gäste des Klosters – sowohl Laien als auch Geistliche
– waren von der Qualität dieses Käses so angetan, daß bald in der ganzen Gegend eine rege Nachfrage herrschte.
»Wie geht es deiner Mutter?« fragte Johanna.
»Sehr gut. Sie hat wieder geheiratet – einen netten Mann, einen Bauern mit eigener Rinderherde. Aus der Milch stellen sie
Mutters Käse her. Die Geschäfte gehen immer besser, und beide sind glücklich und wohlhabend.«
»Was offenbar auch für dich gilt«, sagte Johanna und wies mit einem Schwenk des Armes durch das große und gepflegte Zimmer.
»All mein Glück verdanke ich Euch«, sagte Arn, »denn auf der Abteischule habe ich lesen, schreiben und den Umgang mit Zahlen
gelernt – Fertigkeiten, die gerade recht kamen, als Mutters Geschäfte besser gingen, so daß es erforderlich wurde, sorgfältig
Buch zu führen. Als Graf Riculf dann von meinen Fertigkeiten erfuhr, hat er mich als Verwalter auf seinem Gut eingestellt.
Außerdem bewache ich seine Ländereien vor Wilderern – die Wälder, die Wiesen und den Fluß. Deshalb habe ich Euch am Ufer gefunden.«
Johanna schüttelte staunend den Kopf und rief sich in Erinnerung, wie es Arn und seiner Mutter vor sechs Jahren ergangen war,
als sie in der schäbigen, von Ungeziefer wimmelnden Hütte gehaust hatten, so jämmerlich wie
coloni
. Damals hatte es den Anschein gehabt, als wären sie zu einem Leben in schrecklicher Armut und Hunger verdammt. Nun aber war
Madalgis wieder verheiratet und eine wohlhabende Geschäftsfrau, und ihr Sohn
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