Die Päpstin
Wunder wirkst.«
Die beiden lächelten sich an. Sie mochten einander.
Jetzt ist der richtige Augenblick! sagte sich Johanna. »Falls Ihr Euch wirklich so wohlfühlt, Heiligkeit, dann könntet Ihr
endlich …« Sie vollendete den Satz nicht, sondern ließ ihn verlockend ausklingen.
»Ja?«
»Ich dachte gerade daran, daß … der päpstliche Hof hält doch heute seine Versammlung ab, und Euer Bruder Benedikt führt wie
gewöhnlich in Eurem Namen den Vorsitz. Aber wenn Ihr Euch kräftig genug fühlt, dann könntet doch Ihr selbst …«
Unschlüssig erwiderte Sergius: »Benedikt ist es gewöhnt, den Vorsitz zu führen … es besteht gewiß keine Veranlassung, daß
ich …«
|356| »Die Menschen haben aber nicht Benedikt zu ihrem Oberhirten gewählt. Sie brauchen Euch, Heiligkeit.«
Sergius runzelte die Stirn. Für längere Zeit schwiegen beide.
Ich habe ihn zu schnell darauf angesprochen
, dachte Johanna,
und zu direkt.
Plötzlich sagte Sergius: »Du hast recht. Ich habe derlei Angelegenheiten viel zu lange vernachlässigt.« Die Traurigkeit in
seinen Augen verlieh seinem Gesicht den Ausdruck ernster Würde und Weisheit.
Johanna erwiderte leise: »Nur wer handelt, Heiligkeit, kann etwas bewirken.«
Sergius ließ sich diese Bemerkung durch den Kopf gehen. Dann machte er abrupt kehrt und ging in Richtung Gartentor. »Na los,
komm!« rief er Johanna zu. »Worauf wartest du noch?«
Johanna eilte ihm nach.
Zwei Wächter lehnten lässig an der Wand vor dem Versammlungssaal und schwatzten müßig miteinander. Als sie Sergius sahen,
nahmen sie hastig Haltung an und zogen die Türflügel auf.
»Seine Heiligkeit Papst Sergius, Bischof und Metropolit von Rom!« verkündete einer der Wächter mit lauter Stimme.
Sergius und Johanna betraten den Saal. Für einen Augenblick herrschte verwundertes Schweigen, gefolgt von einem lauten Scharren
der Bänke, als die Versammelten sich respektvoll erhoben. Alle bis auf Benedikt, der offenen Mundes im päpstlichen Sessel
sitzen blieb und Sergius anstarrte.
»Mach den Mund zu, Bruder, sonst sausen dir Fliegen hinein«, sagte Sergius.
Benedikts Kiefer klappte zu. »Heiligkeit! Haltet Ihr das für klug? Ihr solltet Eure Gesundheit wirklich nicht aufs Spiel setzen,
nur um diese Versammlung zu verfolgen.«
»Danke, Bruder, aber ich fühle mich schon wieder ziemlich gut«, sagte Sergius. »Und ich bin nicht gekommen, um die Versammlung
zu verfolgen, sondern sie zu leiten.«
Nach einem Augenblick tiefer Stille erhob sich Benedikt. »Wie ganz Rom bin auch ich erfreut, dies zu hören.« Doch seine Stimme
klang alles andere als erfreut.
Sergius ließ sich behaglich in den gepolsterten Sessel sinken, den Benedikt geräumt hatte. »Nun denn, was liegt an?«
Rasch umriß der päpstliche Notar die Einzelheiten. Mamertus, |357| ein wohlhabender Kaufmann, bat um die Erlaubnis, das Orphanotrophium wieder eröffnen zu dürfen – eine Schule und ein Waisenhaus
–, das sich in einem heruntergekommenen Gebäude in unmittelbarer Nähe des Lateran befand. Mamertus wollte das Gebäude von
Grund auf renovieren lassen und es zu einer Herberge für Pilger umfunktionieren.
»Das Orphanotrophium«, sagte Sergius nachdenklich. »Ich kenne es gut. Ich habe dort selbst eine Zeitlang verbracht, nachdem
meine Mutter gestorben war.«
»Heiligkeit, das Bauwerk ist zu einer Ruine verfallen«, meldete Mamertus sich zu Wort. »Es ist ein Schandfleck, eine häßliche
Warze im Gesicht unserer wunderschönen Stadt. Wird mein Vorschlag jedoch befolgt, wird es sich in einen Palast verwandeln!«
»Was soll aus den Waisen werden?« fragte Sergius.
Mamertus zuckte die Achseln. »Sie müssen sich woanders nach Mildtätigkeit umschauen. Sie können ja in Armenhäusern unterkommen.«
»Es ist schlimm, aus seinem Heim vertrieben zu werden.«
»Aber die neue Pilger-Unterkunft würde zum Stolz Roms, Heiligkeit! Jeder Graf, jeder Herzog, ja, selbst Kaiser und Könige
würden dort mit Freuden schlafen!«
»Waisenkinder sind Gott genauso lieb wie Könige. Schließlich hat Christus gesagt: ›Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen
gehört das Himmelreich.‹«
»Bitte, überlegt es Euch, Heiligkeit. Denkt doch einmal daran, was eine Unterkunft, wie ich sie bauen möchte, für Rom bewirken
kann!«
Sergius schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht zulassen, daß die Heimstatt dieser Kinder zerstört wird. Die Bitte ist abgewiesen.«
»Ich protestiere!« rief Mamertus hitzig.
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