Die Päpstin
das Bett herum waren brennende Kerzen aufgestellt, so daß es wie ein Altar aussah. Und auf dem Bett lag eine Frau in verführerischer
Haltung.
Es war die schönste Frau, die Johanna je gesehen hatte – schöner als Richild, schöner sogar als ihre Mutter Gudrun, die Johanna
bis zu diesem Augenblick als die lieblichste Frau der Schöpfung betrachtet hatte.
»Ich bin Marioza.« Die Stimme der Frau war wie flüssiger Honig.
|360| »Ed … edle Dame«, stammelte Johanna, der es angesichts dieser makellosen Schönheit beinahe die Sprache verschlug. »Ich … bin
Johannes Anglicus. Ich wurde hierherbestellt, Euch zu … heilen.«
Marioza lächelte, zufrieden über die Wirkung, die sie erzielte. »Kommt näher, Johannes Anglicus«, drängte ihre honigsüße Stimme.
»Oder wollt Ihr mich aus der Ferne untersuchen?
In der Nähe des Bettes war der fruchtige Geruch nach Äpfeln noch stärker. Johanna glaubte, diesen Duft zu kennen, wußte im
Augenblick aber nicht zu sagen, wo sie ihn schon einmal wahrgenommen hatte.
Marioza hielt Johanna einen Becher Wein hin. »Möchtet Ihr nicht auf meine Gesundheit trinken?«
Höflich nahm Johanna den Becher und leerte ihn, wie es den Gepflogenheiten entsprach. Aus der Nähe betrachtet, war Marioza
noch schöner: Ihre makellos reine Haut besaß die Farbe von altem Elfenbein; ihre Augen waren wunderschön und ausdrucksvoll,
mit langen Wimpern und ebenholzschwarzen, großen Pupillen.
Zu groß, wie Johanna plötzlich erkannte. Eine derartige Erweiterung der Pupillen war eindeutig anormal. Diese klinische Feststellung
brach den Zauber von Mariozas Schönheit.
»Sagt mir, edle Dame«, Johanna stellte den Becher ab, »was fehlt Euch?«
»So hübsch«, sie seufzte, »und so geschäftsmäßig?«
»Ich möchte Euch helfen, Marioza. Also – welches Leiden hat Euch veranlaßt, mich zu Euch zu bestellen?«
»Wenn Ihr darauf besteht.« Marioza zog einen Schmollmund. »Mein Herz macht mir zu schaffen.«
Eine ungewöhnliche Beschwerde für eine Frau ihres Alters, dachte Johanna. Marioza konnte höchstens zweiundzwanzig sein. Na
ja, solche Fälle waren schon öfters aufgetreten – Kinder, die unter einem unheilbringenden Stern mit einem Herzfehler geboren
waren und für die jeder Atemzug ihres kurzen Lebens Anstrengung und Qual bedeutete. Doch wer unter einer solchen Krankheit
litt, sah nicht wie Marioza aus, deren gesamtes Äußeres – von den seltsam geweiteten Pupillen abgesehen – von guter Gesundheit
kündete.
Johanna nahm Mariozas Hand, fühlte den Puls und stellte fest, daß er kräftig und gleichmäßig ging. Sie untersuchte Mariozas |361| Hände: Sie besaßen ein frisches Aussehen, und das Fleisch unter den Nägeln hatte eine rosige, gesunde Farbe. Bei der Berührung
federte die Haut zurück, ohne an der Druckstelle ein Mal oder eine Verfärbung zu zeigen. Johanna untersuchte die Beine und
Füße Mariozas mit der gleichen Sorgfalt, entdeckte aber wieder keine Anzeichen einer Nekrose; Mariozas Herz und der Kreislauf
schienen stark und gesund zu sein.
Marioza ließ sich zurück in die Kissen sinken und betrachtete Johanna aus halbgeschlossenen Lidern. »Sucht Ihr nach meinem
Herzen?« neckte sie. »Dort, wo Ihr nachgeschaut habt, werdet Ihr’s nicht finden, Johannes Anglicus.« Sie öffnete ihr seidenes
Schlafgewand und enthüllte ihre makellosen, wohlgeformten Brüste.
Benedicte!
schoß es Johanna durch den Kopf.
Versucht sie etwa, mich zu verführen?
Angesichts der Verrücktheit dieses Gedankens mußte Johanna lächeln.
Marioza, die dieses Lächeln falsch auffaßte, fühlte sich ermutigt. Es würde nicht so schwer sein, diesen Priester zu verführen,
wie Benedikt hatte durchblicken lassen, als er Mariozas Dienste zu diesem Zweck in Anspruch nahm. Priester oder nicht – Johannes
Anglicus war ein Mann, und der Mann, der ihr widerstehen konnte, mußte erst noch geboren werden.
Mit betontem Desinteresse an Mariozas Brüsten konzentrierte Johanna sich auf die Fortführung der Untersuchung. Sie tastete
den Oberkörper ab, um festzustellen, ob Rippen verletzt waren, denn der Schmerz einer solchen Verletzung wurde oft irrtümlich
mit Herzbeschwerden verwechselt. Marioza jammerte jedoch nicht und ließ auch kein anderes Zeichen des Unbehagens erkennen.
»Was für schöne weiche Hände Ihr habt«, gurrte sie und legte sich so aufs Bett, daß die reizvollen Kurven ihres Körpers am
besten zur Geltung kamen. »Was für männliche, starke
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