Die Päpstin
protestieren konnte.
Sergius’ Brauen hoben sich vor Verwunderung. »Wer seid Ihr?«
»Ich heiße Johannes Anglicus.«
»Ihr seid kein Römer.«
»Ich bin im Frankenreich geboren.«
»Das Land im Norden!« Sergius’ Blick wurde mißtrauisch. »Seid ihr dort droben wirklich so schreckliche Barbaren, wie man behauptet?«
Johanna lächelte. »Es gibt dort nicht so viele Kirchen, falls Ihr das meint.«
»Wenn Ihr im Frankenreich geboren seid, weshalb nennt man Euch dann ›Anglicus‹?« fragte Sergius. In Anbetracht der gerade
erst durchstandenen Krankheit war er schon wieder erstaunlich rege.
»Mein Vater stammte aus England«, erklärte Johanna. »Er ist aufs Festland gekommen, um den Sachsen das Wort Gottes zu verkünden.«
»Die Sachsen.« Sergius machte ein finsteres Gesicht. »Ein gottloses Volk.«
Mutter.
In Johanna stieg die altvertraute Woge aus Liebe, Zärtlichkeit und Trauer auf. »Die meisten Sachsen sind jetzt Christen«,
sagte sie herb, »jedenfalls, soweit man Menschen mit Feuer und Schwert vom wahren Glauben überzeugen kann.«
Sergius betrachtete sie mit scharfem Blick. »Seid Ihr etwa nicht der Meinung, daß die Kirche den Auftrag hat, die Heiden zu
bekehren?«
»Welchen Wert hat ein Versprechen, wenn es unter Zwang gegeben wurde? Wenn ein Mensch gefoltert wird, kann es sein, daß er
alles sagt, was seine Peiniger hören wollen, nur um den Qualen ein Ende zu machen.«
»Das ändert nichts daran, daß unser Herr Jesus uns geboten hat, in Frieden hinzugehen, allen Völkern im Namen des Vaters, |352| des Sohnes und des Heiligen Geistes die frohe Botschaft zu verkünden und die Menschen zu taufen.«
»Das stimmt«, räumte Johanna ein. »Aber …« Sie hielt inne.
Du tust es schon wieder!
schalt sie sich. Wieder einmal ließ sie sich in ein unvernünftiges, unter Umständen gefährliches Streitgespräch verwickeln.
Und diesmal mit keinem geringerem als dem Papst.
»Ja?« sagte Sergius. »Nur weiter.«
»Verzeiht mir, Heiligkeit. Eure Gesundheit ist noch angeschlagen.«
»Nicht so sehr, daß ich keinen vernünftigen Gedanken fassen könnte«, erwiderte Sergius ungeduldig. »Sprecht weiter.«
»Na ja«, Johanna wählte ihre Worte mit Bedacht, »bedenkt einmal die Reihenfolge des Gebots, das Jesus erteilt hat. Zuerst
die Völker lehren und
dann
taufen. Christus hat uns nicht dazu ermahnt, das Sakrament der Taufe zu spenden,
bevor
der Glaube wahrhaftig in den Herzen der Menschen ist. Und bei Jesus ist von Feuer und Schwert als Instrumenten der Bekehrung
und Mission nicht die Rede.«
Sergius betrachtete Johanna interessiert. »Ihr argumentiert geschickt. Wo habt Ihr studiert?«
»Ein Grieche namens Aeskulapius, ein Mann von hoher Bildung, hat mich unterrichtet, als ich noch ein kleines Kind war. Später
wurde ich auf die Domschule in Dorstadt geschickt und anschließend auf das Kloster zu Fulda.«
»Ah, Fulda! Ich habe erst vor kurzem einen Prachtband von Rabanus Maurus geschenkt bekommen, dem dortigen Abt. Das Buch ist
herrlich bebildert und enthält sogar ein Gedicht über das Heilige Kreuz Christi aus Rabanus’ eigener Feder. Wenn ich ihm meinen
Dankesbrief schreibe, werde ich ihm von den Diensten berichten, die Ihr mir erwiesen habt.«
Johanna hatte geglaubt, Abt Rabanus ein für allemal hinter sich gelassen zu haben; doch wie es aussah, war das ein Irrtum
gewesen. Würde der tyrannische Haß dieses Mannes ihr sogar bis hierher folgen und ihr das neue Leben verderben, das sie in
Rom begonnen hatte? »Ich fürchte, aus Fulda werdet Ihr nichts Gutes über mich hören«, sagte sie.
»Wieso?«
»Der Abt betrachtet den Gehorsam als wichtigstes aller Gelübde. Und mit dem Gehorsam hat es bei mir ein bißchen … gehapert.«
|353| »Und die anderen Gelübde?« fragte Sergius streng. »Wie steht es damit?«
»Was die Armut betrifft – ich bin in Armut geboren und daran gewöhnt. Und was die Keuschheit angeht …«, Johanna mühte sich,
jeden Hauch von Ironie aus ihrer Stimme fernzuhalten, »… so habe ich stets allen Verlockungen des Weibes widerstanden.«
Sergius’ Miene wurde weicher. »Das freut mich zu hören. Denn was diese Frage betrifft, sind Abt Rabanus und ich verschiedener
Meinung. Von allen priesterlichen Gelübden ist die Keuschheit fraglos das höchste, edelste und gottgefälligste.«
Johanna staunte, daß Sergius diese Meinung vertrat. Gerade in Rom war man weit davon entfernt, allgemein das Ideal der priesterlichen
Keuschheit zu
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