Die Päpstin
Leo nieder und küßte ihm die Füße. Eustathius und Desiderius folgten seinem Beispiel.
Aller Blicke richteten sich auf Anastasius. Für einige Sekunden zögerte er. Dann zwang er sich mit aller Kraft, ebenfalls
niederzuknien, sich lang auf dem Boden auszustrecken und dem neuen Papst die Füße zu küssen.
»Erhebt Euch, edler Anastasius.« Leo bot ihm die Hand dar und half ihm auf. »Vom heutigen Tag an seid Ihr Kardinal von Sankt
Marcellus.« Es war eine großzügige Geste; Sankt Marcellus zählte zu den ältesten und ehrwürdigsten Kirchen der Stadt: Leo
hatte Anastasius soeben eine der angesehensten Pfründe Roms verliehen.
Die Menge jubelte begeistert.
Anastasius verzog die Lippen zu einem Lächeln, obwohl sich der bittere Geschmack der Niederlage wie trockene Asche in seinem
Mund ausbreitete.
»Magnificat anima mea Dominum«,
sang der Chor bei der feierlichen Papstweihe. Da die Peterskirche in Trümmern lag, wurde die Zeremonie in der Lateranbasilika
abgehalten.
»Benedictus.«
Die Klänge des Responsoriums drangen gedämpft durch das Fenster des kleinen Zimmers, in dem Johanna ihre Arzneien aufbewahrte.
Normalerweise hätte sie mit den anderen Geistlichen in der Kirche sein müssen, um der prunkvollen Krönung des neuen Papstes
beizuwohnen. Doch sie hatte hier zu tun, in diesem kleinen Zimmer: Frisch gepflückte Kräuterblätter mußten zum Trocknen aufgehängt
werden; Heiltränke und Lösungen mußten neu gemischt und in die entsprechenden Flaschen und Gefäße nachgefüllt werden. Als
Johanna fertig war, ließ sie den Blick über die Regale schweifen, in denen sie, ordentlich aufgereiht, die Kräuter, Tränke
und Pulver lagerte – sichtbares Zeugnis ihres gewaltigen Wissens um die Heilkunst. Mit einem Stich des Bedauerns |439| wurde ihr klar, daß sie ihr kleines Labor sehr vermissen würde.
»Ich habe mir schon gedacht, daß ich dich hier finde«, erklang Gerolds Stimme hinter ihr. Johanna drehte sich um, und ihre
Blicke trafen sich.
»Johanna …«, sagte er leise.
»Gerold.«
Sie schauten sich mit der Wärme ihrer wiedergewonnenen Liebe an.
»Seltsam«, sagte Gerold schließlich. »Ich hatte es beinahe schon vergessen.«
»Was vergessen?«
»Jedesmal, wenn ich dich sehe … entdecke ich dich vollkommen neu.«
Johanna ging zu ihm, und sie hielten sich in den Armen, sanft und zärtlich.
»Was ich dir damals gesagt habe, in dem vestalischen Tempel …«, murmelte sie, »es war dumm von mir. Ich wollte nicht …«
Gerold legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Laß mich zuerst reden. Was geschehen ist, war meine Schuld. Es war verkehrt,
dich zu bitten, mit mir aus Rom fortzugehen; das habe ich jetzt erkannt. Ich wußte damals nicht, was du dir hier aufgebaut
hast, was aus dir geworden ist. Du hattest recht, Johanna – ich kann dir nichts bieten, das sich auch nur annähernd damit
vergleichen ließe.«
Außer deiner Liebe,
dachte Johanna, sprach es aber nicht aus. Statt dessen sagte sie schlicht: »Ich möchte dich nicht wieder verlieren.«
»Das wird nicht geschehen«, antwortete Gerold. »Ich kehre nicht nach Benevento zurück. Leo hat mich gebeten, in Rom zu bleiben
– als
superista.«
Superista
– der Befehlshaber der päpstlichen Garde! Es war eine außergewöhnliche Ehre, das höchste militärische Amt in Rom.
»Es gibt hier Arbeit zu tun – wichtige Arbeit. Der Schatz, den die Sarazenen in der Peterskirche erbeutet haben, wird sie
dazu ermuntern, es noch einmal zu versuchen.«
»Glaubst du denn, sie greifen Rom wieder an?«
»Gewiß.« Jeder anderen Frau hätte Gerold die Unwahrheit gesagt, um sie zu beruhigen. Aber Johanna war nicht irgendeine |440| Frau. »Leo wird unsere Hilfe brauchen, Johanna – deine und meine.«
»Meine? Ich wüßte nicht, was ich tun kann.«
Gerold fragte verwundert: »Soll das heißen, dir hat noch keiner Bescheid gesagt?«
»Was meinst du damit?«
»Daß du zum
nomenclator
ernannt worden bist.«
»Was?«
Johanna traute ihren Ohren nicht. Der
nomenclator
war einer der
optimates
, der höchsten Beamten Roms: der für die Wohlfahrt zuständige Minister und der besondere Beschützer der Mündel, Witwen und
Waisen.
»Aber … ich bin Ausländerin!«
»Das spielt für Leo keine Rolle.«
Johanna wußte, daß sie die Chance ihres Lebens bekam. Doch wenn sie das Amt übernahm, bedeutete dies das Ende aller Hoffnungen,
mit Gerold zusammensein zu können. Ihr schwirrte der Kopf. Alles kam ganz anders, als sie
Weitere Kostenlose Bücher