Die Päpstin
erheben. Schließlich ist es nur recht und billig,
daß eine Stadtmauer, die zum Schutze aller dient, auch mit Hilfe aller gebaut wird, die dafür zu bezahlen imstande sind.«
|443| Gerold dachte bereits einen Schritt weiter. »Wir könnten hier mit dem Bau anfangen«, sagte er und zeigte auf einen Stadtplan.
»Am Kastell Sankt Angelus. Von dort aus nach dieser Seite und den vatikanischen Hügel hinauf«, mit der Fingerspitze zog er
eine imaginäre Linie, »dann um Sankt Peter herum, und von da aus in gerader Richtung zum Tiber.«
Die hufeisenförmige Linie, die Gerold gezeichnet hatte, umschloß nicht nur den Petersdom sowie die umliegenden Klöster und
Wohnhäuser, sondern den gesamten Stadtteil Borgo, in dem sich die übervölkerten Siedlungen der Sachsen, Friesen, Franken und
Langobarden befanden.
»Das ist ja eine Stadt für sich!« rief Leo.
»Civitas Leonina …«, sagte Johanna. »Leostadt.«
Anastasius und die anderen blickten verärgert drein, während Leo, Gerold und Johanna sich fröhlich und verschwörerisch zulächelten.
Der Entwurf für die Mauer wurde nach wochenlangen Beratungen mit den Baumeistern der Stadt fertiggestellt. Es war ein ehrgeiziges
Vorhaben. Die Mauer sollte aus mehreren Lagen Kalktuff- und Ziegelsteinen bestehen und gut zwölf Meter hoch und vier Meter
dick sein. Nicht weniger als vierundvierzig Türme sollten zur Verteidigung dienen – eine Barriere, die selbst der entschlossensten
Belagerung standhalten konnte.
Auf Leos Aufruf hin strömten aus sämtlichen Gegenden des Kirchenstaates Arbeiter in die Stadt. In drangvoller Enge quartierten
sie sich in den heißen, von Menschen wimmelnden Mietskasernen von Borgo ein und nahmen alle Möglichkeiten der Stadt, ihre
neuen, zusätzlichen Bewohner mit Nahrung, Wasser und Wohnraum zu versorgen, bis an die Grenzen in Anspruch. Und so fleißig
und loyal diese Arbeiter auch waren, mangelte es ihnen an Ausbildung und der nötigen Erfahrung auf einer so riesigen Baustelle,
so daß es sich als schwierig erwies, ihre Arbeit zu koordinieren. Tag für Tag mußten sie angewiesen werden, was, wie und wo
sie zu arbeiten hatten. Im Juli, am Vorabend des Festes Johannes des Täufers, brach plötzlich ein Teilstück der Mauer ein;
mehrere Arbeiter wurden von herabfallenden Steinen erschlagen.
Der Klerus, der von den Kardinälen der Stadt angeführt wurde, bat den Papst, das Vorhaben aufzugeben und argumentierte, daß
der Zusammenbruch des Mauerstücks ein eindeutiger |444| Beweis für Gottes Mißbilligung des Bauvorhabens sei. Die ganze Idee sei ohnehin verrückt, erklärten sie; ein derart hohes
Bauwerk könne nie und nimmer stehenbleiben. Und selbst wenn: Man könne die Mauer niemals rechtzeitig fertigstellen, daß sie
als Schutzwall gegen die Sarazenen zu dienen vermochte. Es wäre viel besser, alle Kräfte der Menschen auf frommes Beten und
Fasten zu lenken, um den Zorn Gottes von Rom abzuwehren.
»Wir werden beten, als käme es allein auf Gott an – und wir werden arbeiten, als käme es allein auf
uns
an«, entgegnete Leo den Kardinälen dickköpfig. Jeden Tag ritt er zur Mauer, um sich vom Fortgang der Arbeit zu überzeugen
und die Handwerker anzutreiben. Nichts konnte den Papst in seiner Entschlossenheit wankend machen, das Bauwerk fertigzustellen.
Johanna bewunderte Leos störrischen Trotz gegenüber den Skeptikern und Kritikern. Was den Charakter und das Temperament betraf,
war Leo ganz anders als Sergius, seligen Angedenkens. Der neue Papst war ein wahrer geistiger Führer, ein Mann voller Schwung
und Energie und mit gewaltiger Willenskraft.
Doch Johannas Bewunderung für Leo wurde nicht von jedermann geteilt. Die Meinung in der Stadt war geteilt zwischen denen,
die das Bauwerk befürworteten und denen, die es ablehnten. Bald wurde deutlich, daß Leos Macht als Papst, in bildlichem Sinne
gesprochen, mit der Mauer stand und fiel.
Anastasius war sich dieser Tatsache und der Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, sehr wohl bewußt. Leos Besessenheit, was
die Stadtmauer betraf, machte ihn verletzbar. Falls das Projekt fehlschlug, konnte die Woge der öffentlichen Abneigung, die
sich dabei bilden würde, Anastasius genau jene Chance verschaffen, die er brauchte. Dann konnten seine Anhänger in der kaiserlichen
Partei zum Lateranpalast marschieren, den in Ungnade gefallenen Papst aus seinem Amt entfernen und ihren eigenen Kandidaten
auf den Thron Petri erheben.
Und wenn er
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