Die Päpstin
bist?«
»Ich bin erst im dritten Monat. Und unter meinen weiten Umhängen kann ich mindestens noch vier Wochen lang verbergen, daß
ich ein Kind erwarte.«
Mit Nachdruck schüttelte Gerold den Kopf. »Ich kann nicht zulassen, daß du dieses Risiko eingehst. Wir müssen aus Rom verschwinden,
solange noch Zeit ist!«
»Nein«, entgegnete Johanna mit der gleichen Entschlossenheit. »Ich werde die Menschen, die mir anvertraut sind, nicht am höchsten
Feiertag des Jahres ohne ihren Papst lassen.«
Sie ist aufgeregt und verängstigt,
sagte sich Gerold.
Deshalb kann sie nicht klar denken.
Er beschloß, sich vorerst mit ihren |528| Plänen einverstanden zu erklären; ihm blieb keine andere Wahl. Doch insgeheim würde er alles für eine rasche Flucht vorbereiten.
Falls irgendwann Gefahr drohte, konnte er Johanna blitzschnell in Sicherheit bringen – notfalls mit Gewalt.
An
nox magna,
der »Großen Nacht« des Osterfestes, hatten sich Tausende von Menschen in und um die Lateranbasilika versammelt, um die österlichen
Vigilien, die Taufe und die Messe zu feiern. Der Gottesdienst begann am Samstagabend und währte die Nacht hindurch bis in
die frühen Stunden des Ostermorgens.
Draußen, vor der Kathedrale, zündete Johanna die Osterkerze an, um sie dann dem Erzdiakon Desiderius zu reichen, der die Kerze
feierlich ins dunkle Kircheninnere trug. Papst und Klerus folgten ihm, wobei sie das
lumen Christi
sangen, die Hymne an das Licht des Erlösers. Dreimal blieb die Prozession im Mittelgang der Kirche stehen, während Desiderius
mit der Osterkerze die Kerzen der Gläubigen anzündete. Als Johanna schließlich den Altar erreichte, wurde das riesige Kirchenschiff
von Tausenden winziger Flammen erhellt, deren flackerndes Licht schwindelerregend von den spiegelnden marmornen Wänden und
Säulen reflektiert wurde – ein dramatisches und zugleich erhabenes Symbol für das Licht, das Jesus Christus in die Welt gebracht
hatte.
Desiderius stimmte das
Exultet
an, und der Chor fiel ein. In Johannas Ohren besaß dieses altehrwürdige Lied mit der wunderschönen Melodie eine besondere,
ergreifende Wehmut.
Nie wieder werde ich vor diesem Altar stehen und diese lieblichen Klänge hören,
ging es ihr durch den Kopf, und bei diesem Gedanken überkam sie das Gefühl, etwas unendlich Kostbares verloren zu haben. Hier,
inmitten der erhebenden Messe zur Feier der Erlösung und Hoffnung, kam Johanna dem Erlebnis des wahren Glaubens an Gott so
nahe wie nirgendwo sonst.
Am nächsten Morgen, als Johanna zum Abschluß der Messe feierlich aus der Kathedrale schritt, sah sie einen Mann in zerlumpter,
verdreckter Kleidung auf den Stufen stehen. Da sie ihn für einen Bettler hielt, bedeutete sie Viktor, dem
sacellarius,
dem Fremden ein Almosen zu geben.
Doch der Mann wies die dargebotenen Münzen mit einer schroffen Handbewegung zurück. »Ich bin kein Bettler, Heiligkeit, |529| sondern ein Bote, der Euch eine dringende Nachricht zu überbringen hat.«
»Dann sprecht«, forderte Johanna ihn auf.
»Kaiser Lothar und sein Heer ziehen durch Paterno. Falls sie ihr Marschtempo halten können, werden sie in zwei Tagen in Rom
eintreffen.«
Erschrecktes Gemurmel erhob sich unter den Prälaten, die in Johannas Nähe standen.
»Kardinal Anastasius reitet mit ihnen«, fügte der Bote hinzu.
Anastasius! Daß er zum kaiserlichen Gefolge zählte, war ein sehr schlechtes Zeichen.
»Warum bezeichnet Ihr Anastasius als Kardinal?« fragte Johanna den Boten mit leisem Vorwurf. »Dieser Titel steht ihm nicht
mehr zu. Anastasius ist exkommuniziert.«
»Ich bitte um Vergebung, Heiligkeit, aber ich hörte, wie der Kaiser ihn mit diesem Titel anredete.«
Das war die schlimmste Nachricht von allen. Daß der Kaiser die Exkommunikation Anastasius’ durch Papst Leo nicht anerkannte,
war eine direkte und unmißverständliche Mißachtung der päpstlichen Autorität. In einer solchen Stimmung war Lothar zu allem
fähig.
Als Johanna die Hiobsbotschaften am Abend dieses Tages mit Gerold besprach, drängte er sie, ihr Versprechen zu halten. »Ich
habe bis nach Ostern gewartet, wie du es gewünscht hast. Jetzt mußt du die Stadt verlassen, bevor Lothar erscheint!«
Johanna schüttelte den Kopf. »Falls der Papstthron bei Lothars Eintreffen leer ist, wird er all seine Macht einsetzen, daß
Anastasius zum Papst gewählt wird.«
Gerold gefiel der Gedanke, daß Anastasius das neue Oberhaupt der Christenheit wurde, ebensowenig wie
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