Die Päpstin
ein rasender Schmerz – so schrecklich, daß er ihr den Atem raubte; sie hatte das Gefühl, jemand würde mit
einem glühenden Messer ihre Innereien zerschneiden. Johanna warf den Kopf von einer Seite auf die andere und biß sich auf
die Lippe, um ihre Qualen nicht laut herauszuschreien, denn sie durfte nicht das Risiko eingehen, die Aufmerksamkeit der Dienerschaft
oder anderer päpstlicher Mitarbeiter zu erregen.
Die nächsten Stunden zogen in einem Nebel aus Schmerz und Benommenheit an Johanna vorüber. Immer wieder versank sie in Bewußtlosigkeit.
Irgendwann hatte sie phantasiert; denn es war ihr so vorgekommen, als hätte ihre Mutter bei ihr gesessen, hätte sie zärtlich
»meine kleine Wachtel« genannt, hätte ihr wie vor langer Zeit die Lieder in der alten Sprache |526| ihres heidnischen Volkes vorgesungen und Johanna die kühlenden Hände auf die fieberglühende Stirn gelegt.
Vor Anbruch der Morgendämmerung erwachte Johanna, schwach und zittrig. Lange Zeit blieb sie regungslos liegen. Dann – langsam
und behutsam – untersuchte sie sich selbst. Ihr Puls ging regelmäßig, ihr Herz schlug kräftig, und ihre Haut besaß eine gesunde
Farbe. Sie hatte kein Blut verloren, und es gab auch kein Anzeichen dafür, daß sie irgendeinen bleibenden Schaden davongetragen
hatte.
Sie hatte die Tortur überlebt.
Aber auch das Kind in ihrem Leib.
Es gab nur einen Menschen, dem Johanna sich jetzt anvertrauen konnte. Als sie Gerold von der Schwangerschaft erzählte, reagierte
er zuerst mit fassungslosem Unglauben.
»Du lieber Himmel! Ist das möglich?«
»Offensichtlich«, erwiderte sie trocken.
Für einen Moment stand Gerold regungslos da; sein Blick war nachdenklich und nach innen gekehrt. Dann fragte er: »War das
deine … Krankheit?«
»Ja.« Johanna sagte ihm nichts von dem Abtreibungsversuch; nicht einmal von Gerold konnte sie in dieser Hinsicht Verständnis
erwarten.
Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich, barg ihren Kopf an seiner Schulter. Lange Zeit standen sie schweigend da
und teilten in stummem Verständnis, was in ihren Herzen war.
Dann fragte Gerold leise: »Kannst du dich noch erinnern, was ich am Tag des Hochwassers zu dir gesagt habe?«
»An diesem Tag haben wir einander vieles gesagt«, antwortete Johanna, doch sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, denn
sie wußte, worauf er anspielte.
»Damals habe ich gesagt, daß du meine wahre Frau auf Erden bist, so, wie ich dein wahrer Ehemann bin.« Er drückte ihr sanft
die Hand unters Kinn und hob ihren Kopf, so daß sie ihm in die Augen blickte. »Ich verstehe dich besser, als du glaubst, Johanna.
Ich weiß, daß dein Inneres zerrissen ist. Aber nun hat das Schicksal uns die Entscheidung abgenommen, wie es weitergehen soll.
Wir werden Rom verlassen und irgendwo in Frieden zusammenleben, wie es immer schon sein sollte.«
|527| Sie wußte, daß er recht hatte. Es gab jetzt keine andere Möglichkeit mehr. Sämtliche Straßen, die vor ihr gelegen hatten,
hatten sich zu einem einzigen schmalen Pfad verengt. Johanna war traurig und ängstlich, zugleich aber von einer freudigen
Erregung erfüllt.
»Wir könnten die Stadt schon morgen verlassen«, drängte Gerold. »Sag deinen Kammerdienern, daß du sie kommende Nacht nicht
brauchst. Sobald alle schlafen, dürfte es nicht schwierig für dich sein, aus einer Seitentür zu schlüpfen. Ich werde draußen
mit Frauenkleidung auf dich warten. Sobald wir außerhalb der Stadtmauern sind, kannst du die Sachen wechseln.«
»Morgen!« Johanna war mit dem Vorschlag einverstanden, Rom zu verlassen, hatte aber nicht gedacht, daß es so schnell gehen
mußte. »Aber … aber man wird nach uns suchen.«
»Sicher. Doch bis die Suchtrupps losgeschickt werden, sind wir schon ein gutes Stück fort. Außerdem wird man nach zwei Männern
suchen, nicht nach einem schlichten Ehepaar auf einer Pilgerreise.«
Es war ein tollkühner Plan, doch er konnte gelingen. Trotzdem sträubte Johanna sich noch immer. »Ich kann noch nicht fort.
Erst möchte ich in dieser Stadt einige Dinge zu Ende bringen. Es gibt noch so viel zu tun …«
»Ich weiß, mein Schatz«, sagte er zärtlich. »Aber wir haben keine Wahl, das mußt du doch einsehen!«
»Laß uns wenigstens bis nach Ostern warten«, bat sie ihn. »Dann gehe ich mit dir.«
»Ostern? Gütiger Himmel – das sind noch mehr als vier Wochen! Was ist, wenn bis dahin jemand herausfindet, daß du schwanger
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