Die Päpstin
erzählt«,
erwiderte Lucian nervös. Zu Anastasius’ Vater sagte er: »Nun denn, Arsenius, ich muß jetzt gehen und mich um meine Aufgaben
kümmern.« Er verbeugte sich, machte auf dem Absatz kehrt und ging rasch davon.
Sarpatus schüttelte den Kopf. »In letzter Zeit ist Lucian ziemlich reizbar. Ich möchte bloß wissen, warum.« Er blickte Anastasius’
Vater forschend an. »Na ja, es spielt keine Rolle. Wie ich sehe, seid Ihr heute in Begleitung.«
»Ja. Darf ich Euch meinen Sohn Anastasius vorstellen? Er wird bald die Prüfung für die Stelle eines
lector
ablegen.« Mit Betonung fügte er hinzu: »Sein Onkel Theo ist besonders stolz auf ihn. Deshalb habe ich meinen Jungen heute
zu unserem Treffen mit hierhergenommen.«
Anastasius verbeugte sich. »Der Segen des Herrn sei mit Euch«, sagte er förmlich, so, wie man es ihn gelehrt hatte.
Der Mann lächelte. Dabei verzerrte sein ohnehin schiefer Mund sich noch mehr.
»Erstaunlich! Der Junge spricht ausgezeichnet Latein. Meinen Glückwunsch, Arsenius. Er wird sich als Bereicherung erweisen
… es sein denn, er besitzt einen so bedauernswerten Mangel an Urteilsvermögen wie sein Onkel.« Der Mann kam jeder Erwiderung
zuvor, indem er rasch fortfuhr: »Ja, ein wirklich netter Junge, Wie alt ist er?« Die Frage war an Anastasius’ Vater gerichtet.
Anastasius antwortete: »Ich bin kurz nach Advent zehn geworden.«
|59| »Was du nicht sagst! Du siehst jünger aus.« Er tätschelte Anastasius’ Kopf.
In dem Jungen wuchs die Abneigung gegenüber dem Fremden. Er reckte sich so gerade, wie er nur konnte, schob das Kinn vor und
sagte: »Und ich glaube, das Urteilsvermögen meines Onkels kann so schlecht nicht sein. Wie hätte er es sonst zum
primicerius
bringen können?«
Warnend drückte Anastasius’ Vater den Arm des Jungen, doch seine Augen blickten anerkennend, und auf seinen Lippen lag der
Hauch eines Lächelns. Der Fremde starrte Anastasius an, und irgend etwas – Erstaunen? Zorn? – spiegelte sich in seinen Augen.
Anastasius hielt dem Blick des Mannes gelassen stand. Erst nach einer ganzen Weile drehte der Mann den Kopf zur Seite, nahm
den Blick vom Jungen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dessen Vater zu.
»Was für eine Treue und Anhänglichkeit der Familie gegenüber! Wirklich rührend. Tja, dann laßt uns hoffen, daß die Meinung
des Jungen sich als so korrekt erweist wie sein Latein.«
Ein lautes Geräusch lenkte aller Aufmerksamkeit zur gegenüberliegenden Seite der Halle, als dort schwere Türen geöffnet wurden.
»Ah! Da kommt unser
primicerius
ja auch schon. Dann werde ich Euch jetzt nicht länger stören.« Sarpatus verbeugte sich kunstvoll und zog sich zurück.
Stille senkte sich über die Versammlung, als Theodorus in den Saal kam, begleitet von seinem Schwiegersohn Leo, der vor kurzem
in das Amt eines Nomenklators erhoben worden war, dessen Aufgabe darin bestand, Theodorus die Namen jener Personen zu nennen,
die ihm vorgestellt wurden, und seinen Gästen die Plätze anzuweisen. Theodorus blieb kurz im Türeingang stehen und wechselte
ein paar Worte mit einigen Klerikern und Adeligen, die in der Nähe standen. In seiner rubinroten seidenen Dalmatika und dem
goldenen Gürtel seines Priestergewandes war Theodorus der mit Abstand am prächtigsten gekleidete Mann der Versammlung. Er
liebte schöne Stoffe und besaß einen Hang zur Prachtentfaltung, was sein Äußeres betraf; eine Eigenschaft, die Anastasius
bewunderte.
Nachdem er die förmlichen Begrüßungen beendet hatte, ließ Theodorus den Blick durch die Halle schweifen. Dann sah |60| er Anastasius und dessen Vater, lächelte und kam durch die Halle zu ihnen herüber. Als er näher kam, zwinkerte er Anastasius
zu, und seine rechte Hand bewegte sich zu einer Falte in seiner Dalmatika. Anastasius grinste, denn er wußte, was diese Bewegung
zu bedeuten hatte. Theodorus liebte Kinder und hatte stets einige besondere Leckerbissen dabei, um sie zu verteilen. Was mag
es heute sein? fragte sich Anastasius, dem vor Vorfreude das Wasser im Munde zusammenlief. Eine kandierte Feige? Ein Bonbon?
Oder vielleicht sogar ein Stück kremiges Marzipan, mit gezuckerten Mandeln und Walnüssen gefüllt?
Anastasius’ Aufmerksamkeit war so fest auf die Falte in Theodorus’ Dalmatika gerichtet, daß er die anderen Männer zuerst gar
nicht sah. Rasch kamen sie – es waren drei – von hinten heran; einer drückte Theodorus die Hand vor den Mund und zerrte ihn
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