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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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großen Gregor selbst. Und das ohne jeden Unterricht!
     Es ist kaum zu glauben! Das Kind zeigt eine außerordentliche Geistesschärfe. Ich werde sie unterrichten. Ich werde ihr Tutor
     sein.«
    Johanna war wie benommen. Träumte sie? Beinahe hatte sie Angst zu glauben, daß dies alles wirklich geschah.
    »Natürlich nicht an der
scola
«, fuhr Aeskulapius fort, »denn das würde man ihr nicht gestatten. Aber ich werde es so einrichten, daß ich alle zwei Wochen
     hierherkommen kann. Und ich werde ihr Bücher besorgen, damit sie in der Zwischenzeit ihren Studien nachgehen kann.«
    |54| Doch der Dorfpriester war ganz und gar nicht einverstanden. Einen solchen Ausgang hatte er sich nicht erhofft. »Das ist ja
     alles schön und gut«, sagte er gereizt, »aber was ist mit dem Jungen?«
    »Ach ja, der Junge. Tja, ich fürchte, er zeigt keine Begabung, die darauf hoffen läßt, daß ein Gelehrter aus ihm wird. Bei
     entsprechender weiterer Ausbildung kann er es vielleicht zu einem Geistlichen niederen Ranges bringen. Das Gesetz unserer
     heiligen Mutter Kirche verlangt ja lediglich, daß er Lesen und Schreiben beherrscht und die korrekte Form der Sakramente kennt.
     Aber weiter würde ich bei dem Jungen nicht nach vorn schauen. Die
scola
ist nichts für ihn.«
    »Ich glaube, ich kann meinen Ohren nicht mehr trauen! Ihr wollt das Mädchen unterrichten, nicht den Jungen?«
    Aeskulapius zuckte die Achseln. »Das Mädchen hat Begabung, der Junge nicht. Es kann keine andere Entscheidung geben.«
    »Eine Frau als Gelehrter!« Der Dorfpriester war empört. »Sie soll die Heilige Schrift und die Wissenschaften studieren, während
     ihr Bruder übergangen wird? Das werde ich nicht zulassen. Entweder Ihr unterrichtet beide oder keinen.«
    Johanna hielt den Atem an. Sie war der Erfüllung ihres Traumes so nahe gekommen. Wurde jetzt alles grausam zunichte gemacht?
     Das durfte nicht sein! Sie murmelte ein Gebet vor sich hin; dann hielt sie plötzlich inne. Vielleicht wollte Gott die ganze
     Sache nicht so recht gefallen. Johanna griff unter ihre Tunika und umfaßte das Medaillon der heiligen Katharina.
Ihr
würde es gefallen, und
sie
würde Johannas glühenden Wunsch nach Wissen verstehen.
Bitte
, betete sie schweigend,
mach, daß Aeskulapius mein Lehrer wird. Dann werde ich dir ein schönes Opfer bringen. Aber, bitte, nimm mir diese Gelegenheit
     nicht fort.
    Aeskulapius blickte ungeduldig drein. »Ich habe Euch doch gesagt, daß der Junge sich nicht fürs Studium eignet. Ihn zu lehren
     wäre Zeitverschwendung.«
    »Dann ist die Entscheidung gefallen«, erwiderte der Dorfpriester zornig. Johanna beobachtete fassungslos, wie er sich aus
     dem Stuhl erhob.
    »Einen Augenblick«, sagte Aeskulapius. »Eure Entscheidung ist unumstößlich, wie ich sehe.«
    »Ja.«
    »Also gut. Das Mädchen läßt alle Anzeichen eines überragenden |55| Verstandes erkennen. Bei entsprechender Ausbildung kann sie es sehr weit bringen. Eine solche Gelegenheit möchte ich nicht
     ungenutzt lassen. Da Ihr darauf beharrt, werde ich beide unterrichten, das Mädchen und den Jungen.«
    Hörbar stieß Johanna den Atem aus. »Danke«, sagte sie und meinte damit gleichermaßen die heilige Katharina und Aeskulapius.
     Sie versuchte, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben. »Ich werde so hart arbeiten, daß ich mich Eures Vertrauens würdig
     erweise.«
    Aeskulapius schaute sie an. In seinen Augen spiegelte sich eine scharfe und wache Intelligenz.
Wie ein inneres Feuer,
dachte Johanna. Ein Feuer, das die Wochen und Monate erleuchten sollte, die vor ihr lagen.
    »Das wirst du bestimmt«, sagte er. Unter seinem dichten weißen Bart war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. »O ja, das
     wirst du bestimmt.«

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    |56| 4. 
ROM
    Im gewölbten marmornen Innern des Lateranpalastes war es nach der sengenden Hitze in den Straßen Roms wohltuend kühl. Nachdem
     die riesigen hölzernen Türen der päpstlichen Residenz hinter Anastasius zugeschwungen waren, stand der zehnjährige Junge blinzelnd
     da: für einen Augenblick kam er sich im Halbdunkel des Patriarchums wie ein Blinder vor. Instinktiv griff er nach der Hand
     seines Vaters; dann aber erinnerte er sich der Worte seiner Mutter und zog den Arm wieder zurück.
    »Steh gerade und halte dich nicht an deinem Vater fest«, hatte sie an diesem Morgen zu Anastasius gesagt, als sie über sein
     Erscheinungsbild schimpfte. »Du bist jetzt zehn Jahre alt. Da wird es langsam Zeit, daß du lernst, die Rolle eines

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