Die Päpstin
Mannes
zu spielen.« Sie zerrte an seinem edelsteinbesetzten Gürtel und zog ihn in die richtige Lage. »Und schaue jedem, der dich
anspricht, fest in die Augen. Dein Familienname ist unübertroffen; du hast es nicht nötig, demütig zu sein.«
Nun, da er sich dieser Worte erinnerte, zog Anastasius die Schultern zurück und reckte den Kopf in die Höhe. Er war klein
für sein Alter – eine ständige Quelle des Kummers für den Jungen –; deshalb versuchte er stets, seinem Körper eine Haltung
zu verleihen, daß er so groß wie nur möglich erschien. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das schummrige Licht, und
er schaute sich neugierig um. Es war sein erster Besuch im Lateran, der majestätischen Residenz des Papstes und der Sitz aller
Macht in Rom. Anastasius war beeindruckt. Das Innere des Palasts war so gewaltig wie sein Äußeres. Der Lateran war ein riesiges
Bauwerk, in dem sich die Kirchenarchive befanden, die Schatzkammer, Dutzende von Andachtsräumen,
tricliniae
und Kapellen, darunter die Privatkapelle der Päpste, die Sancta Sanctorum. Vor Anastasius, an einer Wand der Großen Halle,
hing eine riesige
mappa mundi
, eine mit Anmerkungen |57| versehene Wandkarte, auf der die ganze Welt abgebildet war, und zwar in ihrer tatsächlichen Form: als flache Scheibe, die
von den Meeren umgeben war. Die drei Erdteile – Asien, Afrika und Europa – wurden durch die gewaltigen Flüsse Tanais und Nil
sowie durch das Mittelmeer voneinander getrennt. Genau im Mittelpunkt der Erde befand sich die heilige Stadt Jerusalem, die
im Osten an das irdische Paradies grenzte. Anastasius betrachtete die Karte. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf riesige
freie Flächen, geheimnisvoll und beängstigend, die an den Rändern der Karte zu sehen waren, dort, wo die Scheibe der Erde
endete und die Düsternis begann.
Ein Mann kam herbei. Er trug die weiße seidene Dalmatika, die ihn als Angehörigen des päpstlichen Stabes kennzeichnete. »Ich
überbringe Euch die Grüße und den Segen unseres allerheiligsten Vaters, Papst Paschalis«, sagte er.
»Möge ihm ein langes Leben beschieden sein, auf daß wir uns weiterhin an den Früchten seiner segensreichen Führung erfreuen
dürfen«, erwiderte Anastasius’ Vater.
Jetzt, da die erforderlichen Formalitäten ausgetauscht waren, entspannten die beiden Männer sich.
»Nun, Arsenius?« fragte der Vertraute des Papstes. »Wie geht es Euch? Ich nehme an, Ihr seid gekommen, um mit Theodorus zu
sprechen.«
Anastasius’ Vater nickte. »Ja. Um alles Erforderliche für die Ernennung meines Neffen Cosmas zum
arcarius
in die Wege zu leiten.« Er senkte die Stimme, als er vorwurfsvoll hinzufügte: »Das Geld ist schon vor Wochen bezahlt worden.
Ich kann mir wirklich nicht erklären, weshalb die Ernennung sich so lange hinausgezögert hat.«
»Theodorus war in letzter Zeit sehr beschäftigt. Es gab da einen häßlichen Disput, was den Besitz des Klosters zu Farfa betrifft,
müßt Ihr wissen. Dem Heiligen Vater hat die Entscheidung des kaiserlichen Hofes in dieser Sache sehr mißfallen.« Er beugte
sich vor und fügte mit verschwörerischer Flüsterstimme hinzu: »Und es hat ihm noch mehr mißfallen, daß Theo für den Kaiser
Partei ergriffen hat. Es ist durchaus möglich, daß Theo jetzt nicht mehr allzu viel für Euch tun kann. Seid darauf gefaßt.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.« Anastasius’ Vater zuckte die Achseln. »Aber Theo ist noch immer der
primicerius
, und das Geld wurde bereits bezahlt, wie ich schon sagte.«
»Wir werden sehen. Erst einmal …«
|58| Das Gespräch verstummte abrupt, als ein zweiter Mann, ebenfalls in eine weiße Dalmatika gekleidet, zu ihnen herüberkam. Anastasius
stand dicht genug an der Seite seines Vaters, um zu spüren, wie dessen Rücken sich leicht spannte. »Möge der Segen des Heiligen
Vaters mit Euch sein, Sarpatus«, sagte Anastasius’ Vater.
»Und mit Euch, mein lieber Arsenius, und mit Euch«, erwiderte der Ankömmling. Sein Mund war eigenartig schief. »Oh, Lucian«,
sagte er und wandte sich an den anderen Mann, »Ihr wart gerade so sehr ins Gespräch mit Arsenius vertieft. Habt Ihr irgendwelche
interessanten Neuigkeiten? Dann würde ich sie liebend gern hören.« Er gähnte gekünstelt. »Seit der Abreise des Kaisers ist
das Leben hier so langweilig.«
»Nein, Sarpatus, selbstverständlich gibt es keine Neuigkeiten. Denn gäbe es welche, hätte ich sie Euch längst schon
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