Die Päpstin
verschiedenen Sprachen und Dialekten unterhielten, umgab
sie von allen Seiten.
In diesem Menschengewimmel konnte man leicht verlorengehen. Johanna nahm die Hand ihres Bruders – zu ihrem Erstaunen protestierte
er nicht – und hielt sich dicht an Gerolds Seite. Lukas blieb stets hinter ihnen; wie immer unzertrennlich von Johanna. Schon
bald wurde die kleine Gruppe von Richild und den anderen getrennt, die langsamer gingen. Vor der ersten Reihe der Stände blieben
sie auf halber Strecke stehen und warteten, daß die anderen zu ihnen aufschlossen. Ein Stück zu ihrer Linken stand eine Frau,
die zwei Händler anschrie, die an beiden Enden einer Bahn aus Leinen zerrten, welche neben einer hölzernen Meßlatte lag, die
genau eine Elle lang war.
»Hört auf!« rief die Frau. »Ihr Dummköpfe! Ihr streckt ja den Stoff!« Es sah tatsächlich so aus, als wollten die beiden Männer
die Bahn aus Leinen auseinanderreißen. Offensichtlich hatten sie die Absicht, möglichst wenig Stoff für möglichst viel Geld
zu verkaufen.
Ein Stück voraus ertönten Rufe und Gelächter von einer Menge, die um eine kleine, freie, kreisförmige Fläche herumstand.
»Komm weiter.« Johannes zerrte die Schwester am Arm. Sie zögerte, denn sie wollte Gerold nicht allein lassen. Doch Gerold
sah, wohin Johannes wollte, und er gab den Geschwistern einen freundschaftlichen Schubs in diese Richtung.
Als die beiden sich der Menge näherten, die um den kleinen Kreis herumstand, erhob sich wieder lautes Geschrei. Johanna sah,
wie im Innern des Kreises ein Mann auf die Knie stürzte und sich an die Schulter griff, als würde sie schmerzen. Rasch erhob
der Mann sich wieder, und nun konnte Johanna sehen, daß er den kurzen, dicken Ast einer Birke in einer Hand hielt. |167| Ein zweiter, ähnlich bewaffneter Mann stand in dem Ring. Die beiden Burschen umkreisten einander und schwangen ihre Knüttel
mit wilder, entschlossener Hingabe. Ein eigenartiges, schrilles Quietschen ertönte, als plötzlich ein blutüberströmtes Schwein
in panischer Verzweiflung zwischen den beiden Männern hin und her rannte, wobei seine kurzen, dicken Beine immer wieder über
den Boden rutschten. Die Männer ließen ihre Knüttel auf das Tier niedersausen, doch ihr Opfer wehrte sich entschlossen: Der
Mann, der vorhin zu Boden gestürzt war, schrie laut auf, als das Schwein ihm den Kopf zwischen die Beine rammte. Wieder brüllte
die Menge vor Lachen.
Auch Johannes lachte herzhaft, und seine Augen leuchteten vor Interesse. Er zupfte einen kleinen, pockennarbigen Bauern, der
neben ihm stand, am Ärmel. »Was geschieht da?« fragte Johannes aufgeregt.
Der Mann blickte den Jungen grinsend an. Die narbigen Löcher in seiner Haut wurden breiter, als sie sich spannte. »Na, hör
mal«, sagte er, »die sind hinter‘m Schwein her, Junge. Siehste das denn nicht? Und wer von beiden das Vieh erschlägt, darf’s
mit nach Hause nehmen, für die Speisekammer.«
Seltsam, ging es Johanna durch den Kopf, als sie die beiden Männer beobachtete, die um den Siegespreis kämpften. Sie schwangen
die Knüppel zwar mit aller Kraft, doch die Schläge waren halbherzig und ungenau; die Männer trafen öfter den anderen oder
ließen den Knüppel durch leere Luft sausen, als daß sie das unglückliche Schwein trafen. Und es war irgend etwas Eigenartiges
am Äußeren des Mannes, der Johanna zugewandt war. Sie schaute genauer hin und sah dort, wo seine Pupillen hätten sein müssen,
milchiges Weiß. Dann wandte auch der zweite Mann Johanna das Gesicht zu; seine Augen sahen normal aus, wäre da nicht dieser
leere und ausdruckslos nach vorn gerichtete Blick gewesen.
Die Männer waren blind.
Ein weiterer Schlag traf ins Ziel, und der Mann mit den milchig-weißen Augen taumelte zur Seite und preßte die Hände an den
Kopf. Johannes sprang in die Höhe, klatschte begeistert und rief und lachte wie alle anderen in der Menge. In seinen Augen
funkelte eine seltsame Erregung.
Johanna wandte sich ab.
»Psst! Junge Dame!« rief eine Stimme ihr zu. Auf der anderen |168| Seite des Durchgangs sah Johanna einen Verkäufer stehen. Der Mann winkte ihr, und sie ließ den lachenden und schreienden Johannes
bei den anderen Zuschauern des widerlichen Kampfes und ging zum Stand des Händlers, vor dem ein langer Tisch mit religiösen
Gegenständen aufgestellt war. Johanna sah Kreuze aus Holz, Medaillons aller Art und mit den verschiedensten Bildern und Beschriftungen
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