Die Päpstin
Lukas, der ins Wasser sprang und mit sicheren, zuversichtlichen Bewegungen losschwamm. Nach einem
Augenblick des Zauderns folgten Johannes und die anderen.
Das kalte Wasser der Maas umspülte Johannas Beine. Sie holte scharf Luft, als die kalte Nässe ihre Kleidung bis auf die Haut
durchdrang. Hinter ihr rollten die Wagen langsam zum Fluß hinunter, um sich im Wasser zu heben, zu schwimmen und von den Maultieren
langsam vorangezogen zu werden. Richild und die Mädchen saßen in der Mitte des vordersten Wagens, sichtlich erleichtert über
diese unerwartete, wenngleich nur vorübergehende Erlösung von den Unbilden der holperigen Straße. Hinter dem Wagen kämpfte
Bertha sich durch das eiskalte Wasser, das ihr fast bis zu den Schultern reichte, und versuchte, den Anschluß zum Gefährt
nicht zu verlieren.
Als Johanna einen Blick nach hinten warf, sah sie, daß Bertha Schwierigkeiten hatte. Sie trieb ihr Pferd zu dem Mädchen; denn
die Stute konnte sie beide problemlos ans andere Ufer tragen. Johanna war kaum mehr zwei, drei Meter von Bertha entfernt,
als das Mädchen plötzlich verschwand; es glitt so schnell unter die Wasseroberfläche, als hätte jemand sie an den Füßen in
die Tiefe gezogen. Johanna zügelte die Stute. Für einen schrecklichen Augenblick wußte sie nicht, was sie tun sollte; dann
trieb sie das Pferd voran und auf die konzentrischen, sich ausbreitenden Kreise zu, die sich auf der Wasseroberfläche gebildet
hatten und jene Stelle bezeichneten, an der Bertha versunken war.
»Bleib hier!« Gerolds Hand packte plötzlich die Zügel und hielt die Stute zurück. Er brach einen langen Ast von einer überhängenden
Birke ab, stieg vom Pferd und ging langsam zum Ufer zurück, wobei er mit dem Ast im Flußbett stocherte. Eine Armlänge von
der Stelle entfernt, an der Bertha verschwunden |161| war, stolperte er und wäre beinahe gestürzt, als der Zweig plötzlich tief im Wasser versank.
»Ein Loch!« Hastig streifte Gerold seinen Umhang ab und tauchte unter.
Mit einem Mal breitete sich allgemeine Verwirrung aus. Rufe ertönten. »Unser Herr ist fort!« Gerolds Männer, die nicht beobachtet
hatten, was geschehen war, ritten ziellos im Fluß umher, riefen einander Anweisungen zu und schlugen mit Stöcken auf die Wasseroberfläche.
Johanna erschrak. Gerold war dort unten, unsichtbar für seine Leute; er konnte von einem Pferdehuf getroffen und verletzt
werden. Warum erkannten die Männer das nicht?
»Hört auf!« rief Johanna, doch niemand schenkte ihr Beachtung. Sie ritt zu Egbert, dem obersten Gefolgsmann Gerolds, und zerrte
ihn wild am Arm. »Aufhören!« sagte sie.
Verwirrt und verärgert wollte Egbert das Mädchen abschütteln, doch Johannas Blick ließ ihn innehalten. »Sagt den Leuten, sie
sollen sofort aufhören. Sie machen es nur noch schlimmer.« Egbert rief den anderen zu, die Pferde zu zügeln und zu ihm zu
kommen. Dann ritten sie zu der Stelle, die Johanna ihnen bezeichnete und an der sich das Loch im Flußbett befand. Dort verharrten
sie alle in ängstlicher Erwartung.
Eine Minute verging. Hinter ihnen gelangten die ersten Wagen bereits ans gegenüberliegende Ufer und fuhren rumpelnd an Land.
Johanna bemerkte es nicht. Ihre Blicke waren wie gebannt auf jene Stelle gerichtet, an der Gerold untergetaucht war.
Die Angst ließ ihre Handflächen feucht werden, und ihre Hände rutschten über die Zügel. Die Fuchsstute spürte die Nervosität;
sie wieherte und bockte. Lukas legte den Kopf in den Nacken und heulte.
Deus Misereatur,
betete Johanna.
Lieber Gott, hab Erbarmen! Nimm jedes Opfer, das du willst, wenn du nur diesen Mann rettest!
Zwei Minuten.
Es dauerte zu lange! Gerold müßte längst an die Oberfläche gekommen sein, um Luft zu holen.
Johanna schwang sich aus dem Sattel und ließ sich ins kalte Wasser gleiten. Sie konnte nicht schwimmen, dachte aber gar nicht
daran. Hoch spritzte das Wasser auf, als sie zum Loch im Flußbett rannte. Vor ihr sprang Lukas wild vor und zurück und versuchte,
ihr den Weg zu versperren, doch Johanna drängte |162| sich an ihm vorbei, von einem einzigen Gedanken beherrscht: Du mußt zu Gerold, ihn aus der Tiefe ziehen, ihn retten …
Sie war noch zwei Schritte von dem Loch entfernt, als vor ihr plötzlich ein Schwall Wasser gischtend in die Höhe schoß. Mit
einem gewaltigen Sprung kam Gerold an die Oberfläche. Nach Atem ringend stand er da; das lange, nasse rote Haar klebte ihm
am Kopf.
»Gerold!«
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