Die Päpstin
ausgetrunken hast …! Diesen Gesichtsausdruck
werde ich nie im Leben vergessen!« Er zog Johanna an sich und umarmte sie voller Wärme. »Ach, Johanna, du bist mein kostbarster
Schatz! Aber sag mal – woher hast du eigentlich gewußt, daß in dem Fläschchen nicht tatsächlich Milch von der heiligen Jungfrau
Maria war?«
Johanna grinste, erleichtert darüber, daß er nicht zornig war. »Ich war von Anfang an mißtrauisch. Denn wäre das Ding wirklich
heilig gewesen, warum hat der Mann es dann so billig verkauft? Und weshalb hatte er seine Ziege hinter dem Stand so angebunden,
daß niemand sie sehen konnte? Wenn er sie durch einen Tauschhandel bekommen hat, gäbe es doch keinen Grund, das Tier zu verstecken.
Also mußte es irgendwie mit der Milch zu tun haben.«
»Stimmt. Aber das Zeug wirklich zu
trinken
…« Wieder brach Gerold in Gelächter aus. »Du mußt noch mehr gewußt haben als nur diese Sache mit der Ziege.«
»Ja. Als ich den Verschluß vom Fläschchen genommen hatte, da habe ich gesehen, daß die Milch noch nicht geronnen und vollkommen
frisch war, als wäre sie heute morgen erst gemolken worden. Die Milch der Jungfrau Maria aber wäre mehr als achthundert Jahre
alt.«
»Oh, ja.« Gerold lächelte, die Brauen gehoben. Er stellte Johanna auf die Probe: »Nun ja, vielleicht liegt es an der Heiligkeit
der Milch, daß sie rein und unverdorben geblieben ist.«
»Das könnte sein«, gab sie zu. »Aber als ich den Finger hineingesteckt habe, war sie immer noch warm! Eine so heilige Flüssigkeit
mag vielleicht nicht verderben – aber weshalb sollte sie achthundert Jahre lang warm bleiben?«
»Gut beobachtet und ein scharfer logischer Schluß«, sagte Gerold anerkennend. »Nicht einmal Lukretius hätte es besser machen
können.«
Johanna strahlte. Wie sehr es ihr gefiel, Gerold zu beeindrucken! Sie waren nun fast am Ende der langen Reihe von Marktständen
angelangt, wo das große Holzkreuz des heiligen |171| Denis die Grenzen des Jahrmarktsgeländes anzeigte und über den stillen Frieden der Mönche der dortigen Abtei wachte. Unweit
des Kreuzes hatten die Pergamentverkäufer ihre Stände errichtet.
»Schau!« Gerold entdeckte sie zuerst und eilte hinüber, um die Ware zu begutachten. Sie war von sehr hoher Qualität. Besonders
das Vellum, das feinste aller Pergamentsorten, war von außergewöhnlicher Güte: die Innenseite des Leders war makellos glatt
und von reinerem Weiß, als Johanna es jemals gesehen hatte; die Außenseite war, wie üblich, von weißgelber Farbe. Doch die
winzigen Löcher, die das herausgerissene Kalbshaar hinterlassen hatte, waren so klein, daß man sie mit bloßem Auge kaum sehen
konnte.
»Was für eine Freude es machen muß, auf so schönen Blättern zu schreiben«, murmelte Johanna und betastete das Pergament ehrfürchtig.
Sofort rief Gerold einen der Händler zu sich. »Gebt mit vier Bogen«, sagte er zu dem Mann. Johanna stieß hörbar ihren Atem
aus. Vier Bogen! Das reichte, um einen ganzen Codex darauf zu schreiben!
Während Gerold die Ware bezahlte, wandte Johanna ihre Aufmerksamkeit einigen zerfledderten Seiten Pergament zu, die achtlos
verstreut auf dem hinteren Teil des Standes lagen. Die Ränder der Seiten waren eingerissen und ungleichmäßig, und es war noch
– wenn auch sehr schwach – die Schrift darauf zu sehen, die an einigen Stellen von häßlichen braunen Flecken bedeckt wurde.
Johanna beugte sich vor, um das Geschriebene zu lesen. Kaum hatte sie begonnen, als sich ihr Gesicht vor Erregung rötete.
Sobald der Händler Johannas Interesse bemerkte, kam er herübergeeilt.
»So jung und schon ein so gutes Auge für ein günstiges Geschäft«, sagte der Händler schmeichlerisch. »Die Blätter sind alt,
wie Ihr seht, mein Fräulein; aber sie sind noch gut zu gebrauchen. Schaut her!«
Bevor Johanna etwas sagen konnte, nahm der Händler ein langes flaches Werkzeug und schabte es rasch übers Pergament, wobei
er mehrere Zeilen der uralten Schrift entfernte.
»Hört auf!« sagte Johanna mit schriller Stimme; denn sie mußte an ein anderes Stück Pergament denken, und an ein anderes Messer.
»Bitte, hört auf!«
|172| Der Händler schaute sie verwundert an. »Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, mein Fräulein. Das ist bloß heidnisches Geschreibsel.«
Stolz zeigte er auf die abgeschabte Seite. »Seht Ihr? Rein und glatt, so daß man sofort darauf schreiben kann.« Er hob das
Werkzeug, um seine
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