Die Päpstin
Geschicklichkeit noch einmal zu demonstrieren, doch Johanna hielt die Hand des Mannes fest.
»Ich gebe Euch einen
denarius
für diese Seiten«, sagte sie knapp.
Der Mann spielte den Entrüsteten. »Aber sie sind drei
denarii
wert. Mindestens!«
Johanna nahm die Münze aus ihrem Ranzen und hielt sie dem Händler hin. »Ich gebe Euch einen
denarius
«, wiederholte sie. »Mehr habe ich nicht.«
Der Händler zögerte und musterte abschätzend ihr Gesicht. »Also gut«, sagte er schließlich gereizt. »Nehmt die Seiten.«
Johanna warf ihm die Münze hin und schob die uralten Pergamentblätter rasch zusammen, bevor der Mann es sich anders überlegen
konnte. Dann rannte sie zu Gerold.
»Sieh nur!« sagte sie aufgeregt.
Gerold betrachtete die Seiten. »Ich kann die Buchstaben nicht entziffern.«
»Es ist auf Griechisch geschrieben«, erklärte Johanna. »Und es ist sehr alt. Ich glaube, es ist ein technischer Text. Siehst
du das Schaubild?« Sie hielt Gerold eine der Seiten hin, und er betrachtete die Zeichnung.
»Scheint eine hydraulische Vorrichtung zu sein.« Sein Interesse war geweckt. »Faszinierend. Könntest du mir den Text übersetzen?«
»Ja.«
»Sehr gut. Dann kann ich diese Vorrichtung vielleicht nachbauen.«
Sie lächelten sich an; gemeinsame Verschwörer bei einem wundervollen neuen Plan.
»Vater!« Gislas Stimme übertönte den Lärm der Menge. Gerold drehte sich um und hielt nach dem Mädchen Ausschau. Er war einen
Kopf größer als alle Leute um ihn herum; sein dichtes Haar glänzte rotgolden in der Sonne. Johannas Herz schlug schneller,
als sie ihn betrachtete.
Du bist mein kostbarster Schatz,
hatte er gesagt. Sie drückte die alten Pergamentseiten an sich, während sie Gerold betrachtete und diesen wunderschönen Augenblick
für immer festzuhalten versuchte.
|173| »Vater! Johanna!« Gisla tauchte in der Nähe auf. Sie stieß und schubste sich einen Weg durch die Menge. Einer der Diener folgte
ihr, mit Waren bepackt. »Ich habe euch schon überall gesucht!« ermahnte Gisla die beiden in gespieltem Zorn; dann schaute
sie Johanna an. »Was hast du da?« fragte sie.
Johanna wollte es erklären, doch Gisla winkte ab. »Ach, ich sehe schon, wieder eins von deinen dummen alten Büchern. Aber
schaut euch mal an, was
ich
entdeckt habe«, fügte sie schwärmerisch hinzu, nahm eine mehrfarbige Stoffbahn von den Armen des Dieners und rollte sie ab.
»Für mein Hochzeitskleid. Ist das nicht
ideal
?«
Der Stoff schimmerte und glänzte. Johanna betrachtete ihn genauer und sah, daß feine Gold- und Silberfäden darin eingewirkt
waren.
»Das ist ja erstaunlich«, sagte sie aufrichtig.
Gisla kicherte. »Ich weiß!« Ohne auf eine Erwiderung zu warten, packte sie Johanna beim Arm und ging zu einem Stand ein Stück
voraus. »Sieh nur«, sagte sie. »Eine Sklavenversteigerung. Komm, schauen wir’s uns an!«
»Nein.« Johanna riß sich los und blieb stehen. Sie hatte gesehen, wie die Sklavenhändler durch Ingelheim gekommen waren; ihre
menschliche Fracht war mit dicken Seilen aneinandergefesselt. Viele Sklaven waren Sachsen gewesen, wie Johannas Mutter.
»Nein«, sagte sie noch einmal und rührte sich nicht von der Stelle.
»Nun hab dich doch nicht so«, sagte Gisla. »Es sind doch bloß Heiden. Sie haben keine Gefühle. Jedenfalls keine wie wir.«
Johanna ging nicht darauf ein. »Ich möchte wissen, was da drin ist«, sagte sie statt dessen, darauf bedacht, Gisla vom Sklavenmarkt
abzulenken. Sie führte Gisla zu einer kleinen Bude am Ende der Reihe, die von den Ständen gebildet wurde. Die Bude war dunkel
und fest verschlossen; keine Ritze war zwischen den Brettern zu entdecken. Lukas umkreiste die kleine Hütte und beschnüffelte
neugierig die Wände.
»Wie seltsam«, sagte Gisla.
In der hellen Nachmittagssonne, umgeben von lärmenden Menschenmengen, war die kleine, stille dunkle Bude in der Tat eine Absonderlichkeit.
Johanna, deren Neugierde geweckt war, klopfte vorsichtig gegen die verschlossenen Läden eines winzigen Fensters.
|174| »Kommt herein«, erklang eine kratzige Stimme aus dem Innern. Gisla zuckte erschreckt zusammen, wich aber nicht zurück. Die
beiden Mädchen gingen zur Seitenwand der Hütte und drückten vorsichtig die Brettertür auf, die quietschend und ächzend nach
innen schwang, so daß die Sonnenstrahlen schräg ins düstere Innere der Hütte fielen.
Die Mädchen traten ein. Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, durchdringend und süß, wie
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