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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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weniges
     höher als ein gewöhnlicher halbfreier
colonus
; falls er Richilds Zorn auf sich zog, konnte sie ihn auspeitschen lassen oder – schlimmer noch – ihn davonjagen und der Armut
     und dem Hunger preisgeben. »Es war Gottes Wille. Ja, natürlich, Gottes Wille, Herrin, ganz gewiß.«
    »Geh jetzt und rede mit der Frau, denn ihr Kummer war so schrecklich, daß er ihre Seele bestimmt in tödliche Gefahr gebracht
     hat.«
    »Oh, Herrin!« Wala hob seine langen weißen Hände zum Himmel. »Welch göttliche Milde! Welche Güte! Welch eine Barmherzigkeit!«
    Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte Richild den Priester fort, und er eilte davon. Er sah wie ein Mann aus, den
     man vom Galgenstrick befreit hatte, kurz bevor die Falltür sich öffnete.
    Gerold erteilte den Befehl, weiterzuziehen, und die Prozession bewegte sich wieder voran; die Wagen holperten über die Uferböschung
     und auf die Straße nach St. Denis. Ganz am Schluß des Zuges, im letzten Wagen, wurden die Schreie der Mutter Berthas allmählich
     zu einem unablässigen, herzzerreißenden Schluchzen. Dhuodas Augen waren tränenfeucht, und sogar Gisla wirkte bedrückt; ihre
     beständige gute Laune war verschwunden. Nur Richild schien vollkommen unbeeindruckt. Johanna betrachtete sie abschätzend.
     Kann jemand seine wahren Gefühle so gut verbergen? fragte sie sich. Oder ist Richilds Inneres wirklich so kalt, wie es den
     Anschein hat? Lastet der Tod des Mädchens denn kein bißchen auf ihrem Gewissen?
    Richild schaute Johanna an, und diese wandte die Augen ab, damit Richild ihre Gedanken nicht lesen konnte.
    Gottes Wille?
    Nein, Herrin.
    Dein
Befehl.
     
    |165| Der erste Tag des Jahrmarkts war in vollem Gange. Die Besucher strömten durch das riesige eiserne Tor, das aufs große freie
     Feld vor der Abtei von St. Denis führte: Bauern in zerlumpten
bandelettes
und Hemden aus grobem Leinen; Edle und
fideles
in seidenen Tuniken und mit goldenen
bandeliers
; ihre Gemahlinnen in elegante, pelzverbrämte Umhänge gewandet und mit edelsteinbesetztem Kopfschmuck; Langobarden und Aquitanier
     in ihren exotischen gebauschten Pantalons und Stiefeln. Nie zuvor hatte Johanna ein derart seltsames und riesiges Gemisch
     aus Menschen der verschiedensten Volksstämme gesehen.
    Auf dem Feld drängten sich dicht an dicht die Stände der Händler, die ihre Waren in einem leuchtend bunten Wirrwarr aus Farben
     und Formen zur Schau stellten. Es gab Umhänge und Mäntel aus purpurner Seide; wunderschöne, kostbare Pelze; Pfauenfedern;
     Wamse aus geprägtem Leder; seltene Delikatessen wie Mandeln und Rosinen; alle Arten von Heilkräutern und Gewürzen; Perlen
     und Gemmen, Silber und Gold. Und immer noch kamen neue Waren durch die Tore – sei es auf hoch beladenen Wagen, sei es als
     große, verschnürte Packen, die von den ärmeren Händlern auf dem Rücken getragen wurden und so schwer waren, daß die Träger
     unter der Last beinahe zusammenbrachen. Mehr als einer dieser Händler würde in der nächsten Nacht kein Auge zutun, weil seine
     überbeanspruchten Muskeln zu sehr schmerzten. Doch auf diese Weise sparte er sich die hohen Mautgebühren – das
rotitacum
und das
saumaticum
–, die für Waren erhoben wurden, die auf Karren, Wagen oder von Lasttieren in die Stadt gebracht wurden.
    Als sie durch das Tor hindurch waren, sagte Gerold zu Johanna und Johannes: »Streckt die Hände aus.« Dann legte er den beiden
     je einen silbernen
denarius
auf die Handfläche. »Geht vernünftig damit um.«
    Johanna starrte auf die silberglänzende Münze.
Denarii
hatte sie erst ein- oder zweimal zu Gesicht bekommen, und das auch nur von weitem; denn in Ingelheim wurde der Warenverkehr
     durch Tauschhandel getätigt; selbst das Einkommen ihres Vaters – der Zehnte, den die Bauern und Handwerker der Gemeinde an
     die Kirche entrichten mußten – war in Form von Lebensmitteln, Stoffen, Holz und anderem erstattet worden.
    |166| Ein ganzer
denarius
! Für Johanna war es ein unvorstellbares Vermögen.
    Sie schlenderten die schmalen, überfüllten Durchgangswege zwischen den Ständen hinunter. Überall um sie herum priesen Verkäufer
     lautstark ihre Waren an; Kunden feilschten temperamentvoll um die Preise, und Darsteller jeder Art – Tänzer, Jongleure, Akrobaten,
     Bären- und Affendompteure – führten ihre Künste vor. Lachen und Geschrei, Schimpfen und Scherzen und der Lärm der unzähligen
     Marktschreier, der Streitenden und Feilschenden, die sich in hundert

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