Die Päpstin
Lippen auf den ihren, und sie erwiderte den
Kuß, und ihrer beider Leidenschaft wurde von Gefühlen entfacht und geschürt, die lange zurückgehalten worden waren und sich
nun gewaltsam Bahn brachen.
Die Luft schien in Johannas Ohren zu summen.
Gerold
, dachte sie.
Gerold
.
Keiner der beiden bemerkte, daß jemand sie aus einem kleinen Wäldchen dicht unterhalb der Hügelkuppe beobachtete.
Odo war unterwegs nach Heristal gewesen, um seinen Onkel zu besuchen, einen der frommen Brüder in der dortigen Abtei, als
sein Maultier durch Zufall von der Straße abkam, da es einem langgezogenen, natürlichen Beet aus besonders saftigen Kräutern
und Klee folgte, die auf einer Seite der Straße wuchsen und in ein kleines Waldstück führten. Odo fluchte auf das Tier, zerrte
an den Zügeln und schlug es mit der Weidengerte; doch das Maultier war störrisch und ließ sich nicht umstimmen. Odo hatte
keine andere Wahl, als die Straße zu verlassen und sich dem Willen des Tieres zu beugen. Seufzend hob er den Blick, schaute
den Hügelhang hinunter und sah es.
Eine gelehrte Frau ist niemals keusch.
Worte des heiligen Paulus. Oder des heiligen Geronimus? Es spielte keine Rolle. Jedenfalls hatte Odo stets an die Richtigkeit
dieser Behauptung geglaubt, und nun sah er den Beweis mit eigenen Augen …
Odo tätschelte dem Maultier den Hals.
Heute abend bekommst du eine Extraportion Futter,
versprach er dem Tier in Gedanken, überdachte diesen Entschluß dann aber und änderte ihn rasch wieder. Futter war teuer; außerdem
hatte das Tier ohnehin nur als Werkzeug Gottes gedient.
Odo eilte zurück zur Straße, von der sein Maultier abgebogen war. Sein eigentlicher Auftrag mußte nun warten. Zuerst einmal
mußte er nach Villaris, das sich nur ein kurzes Stück die Straße hinauf befand.
Bald darauf ragten die Dächer und Türme der Burganlage vor Odo auf. Er kam durch das Tor in der Umzäunung und |185| wurde von einem Wachtposten begrüßt. Hastig erwiderte Odo den Gruß. »Bringt mich zur Gräfin Richild«, sagte er. »Ich muß sie
sofort sprechen.«
Gerold löste Johannas Arme, die seinen Hals umschlungen hielten, und trat zurück. »Komm«, sagte er, und seine Stimme schwankte
vor Gefühlen. »Wir müssen zurück.«
Schwindelig vor Liebe und Glück, trat Johanna auf ihn zu, um ihn noch einmal zu umarmen.
»Nein.« Diesmal war Gerolds Stimme fest. »Ich muß dich jetzt nach Hause bringen …«, er lächelte wehmütig, »solange ich noch
den Willen dazu aufbringen kann.«
Johanna blickte ihn benommen an. »Du … willst mich nicht?« Sie senkte den Kopf, bevor er antworten konnte.
Sanft umfaßte Gerold ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu schauen. »Ich will dich mehr, als ich je eine Frau gewollt
habe.«
»Dann verstehe ich nicht, weshalb …«
»Gütiger Himmel, Johanna. Ich bin ein Mann mit allen Begierden eines Mannes. Du solltest mich nicht reizen und es uns beiden
nur unnötig schwermachen.« Seine Stimme hörte sich beinahe zornig an. Als er die Tränen in ihren Augen glitzern sah, wurde
sein Tonfall sanfter. »Was möchtest du denn, Johanna? Daß ich dich zu meiner Geliebten mache? Ich würde dich hier und jetzt
lieben, wenn ich wüßte, daß es dich glücklich macht … und daß es dir Glück
bringt
. Aber es würde deinen Untergang heraufbeschwören. Siehst du das denn nicht?«
Der Blick aus Gerolds tiefblauen Augen hielt den ihren gefangen. Er war so gutaussehend, daß es Johanna den Atem raubte. Sie
wollte nur eins: daß er sie wieder in die Arme nahm.
Gerold streichelte ihr weißgoldenes Haar. Johanna setzte zum Sprechen an, doch ihre Stimme brach. Ihr war beinahe übel vor
Scham und Enttäuschung, und sie holte tief Luft und versuchte, ihr aufgewühltes Inneres zu beruhigen.
»Komm.« Gerold nahm zärtlich ihre Hand, und sie erhob keinen Widerspruch, als er sie vom Flußufer fort und den Hügelhang hinauf
bis auf die Straße führte. Schweigend, Hand in Hand, gingen sie das trostlose Wegstück bis nach Villaris.
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|186| 11.
Die edle Richild, Markgräfin zu Villaris«, verkündete der Ausrufer, als Richild in hoheitsvoller Haltung die Empfangshalle
des Bischofspalastes betrat.
»Euer Eminenz.« Sie verbeugte sich anmutig.
»Seid willkommen, Richild«, sagte Fulgentius. »Welche Neuigkeiten bringt Ihr mir von Eurem Gatten? Es ist ihm auf der Reise
doch nicht etwa ein Unglück zugestoßen? Möge Gott es verhüten!«
»Es ist nichts dergleichen
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