Die Päpstin
drei Jahren würde sie bereits als alte Jungfer gelten. Doch in Johannas Augen war es unverständlich,
ja, unglaublich, daß Mädchen in ihrem Alter so versessen aufs Heiraten waren; denn mit der Ehe ging eine Frau eine unauflösliche
Bindung ein, die sie von einem Tag auf den anderen praktisch zur Leibeigenen machte. Ein Ehemann hatte die vollkommene Herrschaftsgewalt
über seine Frau und ihre Kinder, ihren Besitz, ja, ihr Leben. Nachdem sie die Tyrannei ihres Vaters erduldet hatte, wollte
Johanna nie wieder einem Mann eine solche Macht über sich in die Hand geben.
Gisla dagegen – dieses liebe, einfältige Geschöpf, das sie nun einmal war – ging mit leidenschaftlicher Begeisterung in die
Ehe. Immer wieder errötete sie, lächelte sie, kicherte sie. Graf Hugo, prächtig anzuschauen in seiner Tunika und dem hermelinverbrämten
Umhang, wartete am heiligen Portal des Domes auf Gisla. Sie nahm seine dargebotene Hand und stand dann stolz neben ihrem Zukünftigen,
während Wido, der Haushofmeister von Villaris, öffentlich verkündete, wieviel Landbesitz und wie viele Diener, Tiere und sonstigen
Güter Gisla als Mitgift in die Ehe einbrachte. Dann zog die Hochzeitsgesellschaft in den Dom, wo Fulgentius vor dem Altar
wartete, um die feierliche Hochzeitsmesse zu lesen.
Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht lösen:
»Quod Deus conjunxit homo non separet.«
Die lateinischen Worte kamen reichlich holperig über Fulgentius’ Lippen, denn bevor er – schon recht spät im Leben – Amt und
Würden eines Bischofs geerbt hatte, war er Soldat gewesen. Mit dem Studium der Heiligen Schrift und des Latein hatte er reichlich
spät und ziemlich nachlässig begonnen, so daß ihm der richtige Gebrauch der lateinischen Sprache wohl für immer verschlossen
bleiben würde.
»In nomine Patria et Filia …«
Johanna zuckte zusammen, als Fulgentius diesen Segen sprach; denn er hatte die Deklinationen |179| durcheinandergewürfelt. Statt »im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« hatte Fulgentius »im Namen des
Vaterlandes und der Tochter …« gesagt.
Als Fulgentius mit diesem Teil der Messe fertig war, wandte er sich mit offensichtlicher Erleichterung vom Latein ab und dem
Theodisk zu.
»Möge diese Frau«, sagte er, »so lieblich sein wie Rachel, so gläubig wie Sarah und so fruchtbar wie Leah.« Sanft legte er
Gisla die Hand auf den Kopf. »Möge sie viele Söhne hervorbringen und dem Hause ihres Gatten Ehre machen.«
Johanna sah, wie Gislas Schultern zuckten, und sie wußte, daß die Freundin ein Kichern unterdrückte.
»Möge sie das Verhalten eines Hundes annehmen, der sein Herz und sein Auge stets bei seinem Herrn hat; und selbst wenn sein
Herr ihn schlägt oder mit Steinen nach ihm wirft, folgt der Hund ihm nach und wackelt freudig mit dem Schwanze.« Das kam Johanna
ein bißchen stark vor, doch Fulgentius betrachtete Gisla mit einem gütigen, ja, liebevollen Ausdruck; er hatte offenbar nicht
die Absicht gehabt, Gisla zu beleidigen. »Und wenn schon der Hund«, fuhr Fulgentius fort, »so sollte erst recht ein Weib,
und dies aus besseren und triftigeren Gründen, dem Ehemann seine tiefste, makelloseste und unverbrüchlichste Liebe und Treue
entgegenbringen.«
Er wandte sich Graf Hugo zu. »Möge dieser Mann so tapfer sein wie David, so klug wie Salomo, und so stark wie Samson. Mögen
seine Ländereien in gleichem Maße wachsen wie sein Vermögen und die Schar seiner Söhne. Möge er seiner Frau ein gerechter
Herr sein und ihr nie eine härtere Strafe zukommen lassen, als ihr zusteht. Möge er noch erleben dürfen, wie seine Söhne seinem
Namen Ehre machen.«
Nach diesen bewegenden Worten des Bischofs tauschte das Brautpaar die Eheversprechen. Zuerst sprach Graf Hugo die Worte; dann
streifte er Gisla einen Ring aus byzantinischem Türkis über den Ringfinger, durch den bekanntlich jene Ader verläuft, die
zum Herzen führt.
Dann war Gisla an der Reihe. Inmitten der anderen Gäste im Dom stand Johanna und hörte zu, wie Gisla ihr Eheversprechen gab.
Ihre Stimme war hoch und klar und glücklich; keine Schatten fielen auf ihre reine Seele, und ihre Zukunft war gesichert.
Was hält die Zukunft für
mich
bereit?
fragte sich Johanna.
|180| Sie konnte nicht ewig an der
scola
studieren – höchstens noch weitere drei Jahre. Johanna gab sich ihrem liebsten Tagtraum hin und stellte sich vor, wie sie
als Lehrerin an einer der großen, bedeutenden
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