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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Augen – und bot ihm Trost an. Erstaunlicherweise
     schaute Johannes nicht weg, sondern erwiderte ihren Blick; auf seinem Gesicht war deutlich der Schmerz zu erkennen.
    Sie waren sich lange Zeit fremd gewesen. Doch in diesem |207| Augenblick waren sie zum erstenmal eins, Bruder und Schwester, verbunden in gegenseitigem Verstehen. Johanna hielt den Blick
     auf ihren Bruder gerichtet; sie wollte dieses zarte, zerbrechliche Band nicht zerreißen lassen.
    Der Haushofmeister verstummte. Die Menge wartete gespannt. Der Sohn des Hufschmieds führte Johanna in den Dom. Richild und
     ihre Bediensteten folgten dem Brautpaar; dann kamen die Stadtbewohner.
    Fulgentius wartete am Altar. Als Johanna und der Junge auf ihn zu gingen, bedeutete er ihnen, Platz zu nehmen. Zuerst sollte
     der kirchliche Festtag gefeiert werden; dann erst die Hochzeitsmesse.
    »Omnipotens sempiterne Deus qui me peccatoris …«
Wie immer, sprach Fulgentius ein haarsträubendes Latein; diesmal aber nahm Johanna kaum Notiz davon. Der Bischof bedeutete
     einem Altardiener, das Offertorium vorzubereiten, und begann mit dem Opfergebet.
»Suscipe sanctum Trinitas …«
Neben Johanna senkte der Sohn des Hufschmieds demutsvoll den Kopf. Auch Johanna versuchte zu beten; sie schloß die Augen und
     formte mit den Lippen die Worte des Gebets, doch es war nur eine äußere Geste, eine leere Hülle ohne Substanz. In ihrem Innern
     war nichts als Leere.
    Fulgentius vermischte das Wasser mit dem Wein.
»Deus qui humanae substantiae …«
    Mit einem lauten Krachen flogen die Türen des Domes auf. Fulgentius unterbrach seinen Kampf mit der lateinischen Sprache und
     starrte fassungslos zum Eingang des Gotteshauses. Johanna reckte den Hals und versuchte, die Quelle dieser beispiellosen Störung
     auszumachen. Doch die Besucher des Gottesdienstes versperrten ihr die Sicht.
    Dann aber sah sie es. Eine riesige Kreatur – menschenähnlich, jedoch größer als ein Mensch – stand im Kircheneingang; ein
     gewaltiger dunkler Umriß im hellen Gegenlicht dieses strahlenden Frühsommertages. Der Schatten des Wesens fiel ins schummrige
     Innere des Domes. Das Gesicht war seltsam ausdruckslos und schimmerte in metallenem Glanz; die Augen lagen so tief in den
     dunklen Höhlen, daß Johanna sie nicht erkennen konnte. Zu beiden Seiten des Schädels ragte ein goldenes Horn hervor.
    Irgendwo in der Menge der Gläubigen schrie eine Frau.
    Wotan,
dachte Johanna. Schon vor langer Zeit hatte sie den |208| Glauben an die Götter jenes Volkes aufgegeben, dem ihre Mutter entstammte – aber dort stand er, der alte germanische Gott,
     genau so, wie Johannas Mutter ihn beschrieben hatte. Und mit riesigen Schritten kam er über den Mittelgang auf sie zu …
    Ist er gekommen, um mich zu retten?
fragte Johanna sich in einer Mischung aus Hoffnung und Entsetzen.
    Als das Wesen näher kam, erkannte Johanna, daß sein metallenes Gesicht und die Hörner zu einer Maske gehörten; sie waren Teil
     eines kunstvollen Schlachthelms. Das Ungetüm war ein Mensch, kein Gott. Am Hinterkopf – dort, wo der Helm endete – sah Johanna
     langes goldenes Haar, das bis auf die Schultern fiel.
    »Normannen!« brüllte jemand.
    Der Eindringling setzte seinen Vormarsch fort, ohne auch nur einen Schritt innezuhalten. Als er den Altar erreichte, hob er
     ein schweres, doppelschneidiges Breitschwert und ließ es mit furchtbarer Wucht auf den kahlgeschorenen Kopf eines der Priester
     niedersausen, der dem Bischof als Assistent zur Seite stand. Der tonsierte Schädel des Mannes wurde in zwei Hälften gespalten;
     eine Blutfontäne schoß aus der tiefen Kluft empor.
    Dann brach das nackte Chaos aus. Überall um Johanna herum schrien und kreischten die Menschen und stießen einander zur Seite,
     um schnellstmöglich ins Freie zu gelangen. Johanna wurde von der Menge mitgerissen; sie war so fest zwischen den schubsenden,
     stoßenden Körpern eingeklemmt, daß ihre Füße den Kontakt zum Boden verloren. Die entsetzten, fliehenden Stadtbewohner schwappten
     wie eine Woge aus menschlichen Leibern in Richtung Kirchenportal – um dann abrupt stehenzubleiben.
    Der Ausgang wurde von einem weiteren Eindringling versperrt, der ebenso wie der erste in voller Rüstung dastand, als wollte
     er sich in die Schlacht stürzen. Mit dem einzigen Unterschied, daß dieser zweite Mann statt eines Schwerts eine Axt trug.
    Die Menge schwankte unschlüssig. Johanna hörte Rufe von draußen; dann kamen weitere Normannen – mindestens ein

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