Die Päpstin
Dutzend – durch
die Türen in den Dom gestürmt; mit heiseren Schreien schwangen sie riesige eiserne Äxte über den Köpfen.
Die Stadtbewohner gerieten in wilde Panik und kletterten |209| übereinander hinweg, um aus der Reichweite der mörderischen Waffen zu gelangen. Irgend jemand stieß Johanna grob von hinten,
so daß sie zu Boden stürzte. Sie spürte, wie Füße auf ihren Rücken trampelten, ihr in die Seiten stießen, und sie warf die
Arme hoch, um ihren Kopf zu schützen. Jemand stampfte wuchtig auf ihre rechte Hand, und Johanna schrie vor Schmerz auf: »Mama!
Hilf mir! Mama!«
Sie kämpfte verzweifelt, sich aus dem Knäuel aus menschlichen Leibern zu befreien, und kroch zur Seite, bis sie auf ein freies
Stück gelangte. Als sie zum Altar schaute, sah sie Fulgentius, umringt von Normannen. Er schlug mit dem großen Holzkreuz,
das hinter dem Altar gehangen hatte, auf die Angreifer ein; offenbar hatte der Bischof das Kreuz von der Wand gerissen. Jetzt
schwang er es mit wilder Wut, während seine Angreifer vor und zurück sprangen und versuchten, mit den Schwertern nach Fulgentius
zu schlagen. Doch es gelang ihnen nicht, in seinen Verteidigungskreis vorzudringen. Während Johanna hinsah, versetzte Fulgentius
einem Normannen einen so wuchtigen Hieb mit dem Kreuz, daß der Mann durchs halbe Kirchenschiff geschleudert wurde.
Johanna erhob sich, ging wankend durch den Lärm und den Rauch – war ein Feuer ausgebrochen? – und suchte nach Johannes. Um
sie herum waren Gebrüll und Rufe, Stöhnen und Wimmern, Schreie des Schmerzes und Entsetzens. Der Boden war naß von Blut und
übersät mit umgestürzten Stühlen und regungslosen Körpern.
»Johannes!« rief sie. Hier war der Rauch dichter; ihre Augen brannten, und sie konnte nicht klar sehen. »Johannes!« Bei dem
Lärm vermochte sie kaum die eigene Stimme zu hören.
Schwere Schritte im Rücken und der Windstoß, der ihr über den Rücken wehte, warnten Johanna. Sie reagierte instinktiv und
warf sich zur Seite. Die Schwertklinge des Normannen, die nach ihrem Kopf gezielt hatte, riß eine tiefe Wunde in ihre Wange.
Der Hieb schleuderte Johanna zu Boden, wo sie sich in schrecklichen Qualen krümmte, die Hände vor das blutige Gesicht geschlagen.
Der Normanne stand über ihr. Durch die Schlitze in seiner häßlichen Maske blickten seine funkelnden blauen Augen mit mörderischer
Wut auf das Mädchen hinunter. Johanna kroch zurück und versuchte zu entkommen, konnte sich aber nicht schnell genug bewegen.
|210| Der Normanne hob sein Schwert zum tödlichen Schlag. Johanna beschirmte den Kopf mit den Armen und wandte das Gesicht ab.
Der Schlag kam nicht. Johanna öffnete die Augen und sah, wie ihrem Angreifer das Schwert aus den Händen fiel. Blut lief ihm
aus den Mundwinkeln über das Kinn, als er langsam zu Boden sank. Hinter ihm stand Johannes. Er hielt den langen Hirschhorngriff
des Messers umklammert, das dem Vater gehörte. Die Klinge war rot von Blut, und Johannes’ Augen funkelten in einem seltsamen
Hochgefühl.
»Ich hab’ ihn genau ins Herz getroffen! Hast du gesehen? Der Kerl hätte dich getötet!«
Jetzt erst schlug das Entsetzen wie eine schwarze Woge über Johanna zusammen. »Sie werden uns alle umbringen!« rief sie und
klammerte sich an den Bruder. »Wir müssen fort von hier! Wir müssen uns verstecken!«
Er hörte ihr gar nicht zu. »Ich hab’ vorhin schon einen von den Burschen erwischt! Er ist mit einer Axt auf mich losgegangen,
aber ich bin darunter weggetaucht und hab’ ihm die Kehle aufgeschlitzt.«
In verzweifelter Eile hielt Johanna nach einem Versteck Ausschau. Ein paar Schritt voraus befand sich ein reich verzierter
Altaraufsatz; die Vorderseite bestand aus dicken Brettern, die mit vergoldeten Schnitzereien verziert waren, die Szenen aus
dem Leben des heiligen Germanus zeigten. Der Altaraufsatz war hohl, und drinnen mußte gerade genug Platz sein, um …
»Rasch!« rief sie Johannes zu. »Komm mit!« Sie packte den Ärmel seiner Tunika und zog ihn mit sich, hinunter auf den Fußboden.
Dann bedeutete sie ihm, ihr zu folgen, und kroch zu einer Seite des Altaraufsatzes. Ja! Da war eine Öffnung, gerade groß genug,
um sich hindurchzuzwängen.
Im Innern war es dunkel. Nur ein schmaler Lichtstreifen fiel durch einen Spalt an der Vorderseite, dort, wo zwei Bretter nachlässig
zusammengefügt worden waren. Johanna kauerte sich in die hinterste Ecke und zog die Beine an, um Platz für
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